Bis euch der Pfähler holt!
Fernlicht überflutete den Boden wie ein großer Spiegel, und es erwischte auch den Pfähler.
Er kam sich vor wie auf dem Präsentierteller. Das Licht drängte ihn in sein Zentrum hinein, klar und scharf mußte sich seine Gestalt abheben, und das mächtige Dröhnen des Motors hinter ihm verglich er mit dem Knurren eines hungrigen Raubtiers, das seine Beute nun jagen würde.
Mareks Chance lag darin, den Waldrand zu erreichen. Als junger Mann und auf normal trockenem Boden hätte er es sicherlich geschafft, aber die Fläche war glatt, und seine Kräfte hatten dem Alter Tribut zollen müssen. Wenn er entkommen wollte, mußte er schlauer und raffinierter sein als der Verfolger.
Marek rannte. Er schlug keine Haken, weil das keinen Sinn hatte, wenn der Wagen noch zu weit hinter ihm lag. Den Kopf hielt er hoch. Er betete darum, nicht auszurutschen. Wenn er fiel, war alles vorbei. Dann würden ihn die mächtigen Räder zu Brei zermalmen.
Das Dröhnen steigerte sich. Es rumorte in seinem Kopf, der kurz vor dem Platzen stand. Die Luft wurde ihm knapp, er atmete nur mehr keuchend, schaute auch nach vorn, weil er das Licht beobachten wollte, das ihn umgab. Wenn es stärker wurde, dann wußte er, was die Stunde geschlagen hatte. Einmal riskierte er es, während des Laufens den Kopf zu drehen. Er sah so gut wie nichts. Nur die grellen Lichter der Scheinwerfer blendeten ihn und stachen in seinen Schädel.
Der LKW war ein Untier. Ein gefräßiger Moloch auf vier Rädern. Schnell, zu schnell für ihn. Ein Mordinstrument auf vier Rädern, das alles kleinradierte, was sich ihm in den Weg stellte.
Er rannte weiter.
Seine Beine schlugen aus, weil er nicht den nötigen Halt fand. Das Dröhnen hinter ihm verwandelte sich in einen Schrei, und genau dieses Geräusch war für Marek die letzte Warnung.
Aus dem vollen Lauf heraus schleuderte er seinen Körper nach rechts.
Er segelte durch die Luft, zu langsam, viel zu langsam, denn er rechnete jeden Augenblick damit, von einem Kotflügel getroffen und zerschmettert zu werden.
Marek knallte auf den Untergrund. Er hatte soviel Fahrt, daß er bäuchlings weiterrutschte, über Eis und Schnee hinwegschrammte und die Rutschpartie aus eigener Kraft nicht stoppen konnte. Er mußte warten, bis sie vorbei war, und er drehte sich um die eigene Achse, hielt die Augen weit offen, so daß er erkennen konnte, wie er in das Dunkel hineinglitt, also weg von dem verdammten Scheinwerferlicht des Wagens.
Etwas Dunkles erschien vor seinen Augen und drehte sich ebenfalls um die eigene Achse. Marek erkannte, daß es der Waldrand war, prall gefüllt mit Unterholz, in das er hineingleiten würde. Es kam ihm selbst schon ungewöhnlich vor, eine derartig weite Strecke laufend hinter sich gebracht zu haben.
Dann rutschte er in den Schnee, der gleichzeitig aus unzähligen Armen und Händen zu bestehen schien, die nach ihm griffen und ihn festhalten wollten.
Sie faßten überall hin. Schnee rutschte durch die Spalten des Unterholzes in Klumpen hervor, begrub den keuchenden Marek unter sich, der erst nach einigen Sekunden feststellte, daß er nicht mehr rutschte, sondern am Boden lag.
Er lachte innerlich. Der verdammte LKW mit dem Killer am Steuer hatte ihn nicht erwischt. Noch nicht.
Marek wollte leben. Das konnte er nicht, wenn er auf dem dick verschneiten Boden liegen blieb. Auch wenn seine Kräfte teilweise verschwunden waren, er konnte und durfte nicht ausruhen. Er kam wieder auf die Füße, keuchte mit offenem Mund, und er sah auch den LKW, der in eine Kurve gelenkt wurde, um einen neuen Angriff zu starten.
Mareks Gehirn arbeitete exakt. Für Horak hatte es keinen Sinn, wenn er ihm nachjagte. Er mußte sich einen anderen Trick ausdenken, und Marek wußte auch, was er an dessen Stelle getan hätte.
Den VW zerstören.
Einfach gegen ihn rasen.
Dieser Gedanke verlieh dem Pfähler Flügel. Gleichzeitig sagte er sich, daß er nicht schnell genug sein würde. Außerdem konnte ihn der andere verfolgen.
Er mußte Horak stoppen.
Marek war der David, der Wagen der Goliath. Aber David hatte es letztendlich geschafft. Er dachte an den Stein, den David aus seiner Schleuder entlassen hatte, und so wollte auch er handeln.
Ein Stein.
Es gab ihn, es mußte ihn geben, auch wenn er unter dem Schnee vergraben lag.
Marek fand ihn am Waldrand. Er war nicht so eben, sondern bedeckt von rauhem Fels und auch Steinen.
Er hob einen hoch, als er ihn vom Schnee befreit hatte. Um das Dröhnen des Motors kümmerte er sich
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