Bis hierher und weiter - Mit allen Nockherberg-Reden von Bruno Jonas
für Sie, den mir ein Protestant, Dieter Hildebrandt, erzählt hat.
Jesus wird, nachdem er verhöhnt wurde als König der Juden mit Dornenkrone auf dem blutigen Haupt, zu Pilatus geführt. Der fragt ihn: Du bist Jesus, sag mir, bist du der Sohn gottes? Und Jesus antwortet: Nageln Sie mich da drauf bitte nicht fest.
Ist dieser Witz zynisch? Darf man darüber lachen? Man darf. Jeder ist ja für sein Lachen selber verantwortlich. Ich kann aber auch verstehen, wenn gläubige darüber nicht lachen können.
gläubige befinden sich immer im Zustand »dramatischer Ironie«. Das ist ein Begriff aus der Dramentheorie. Man versteht darunter ironische Widersprüche, die sich aus der Überlagerung von äußerem und innerem Kommunikationssystem ergeben. Dramatische Ironie verweist in einem Theaterstück auf den Zusammenhang von innerem und äußerem Kommunikationssystem. Aha, werden Sie jetzt sagen, klingt ziemlich geschwollen, was will er uns damit sagen? Was hat es damit auf sich?
Ich will es mal an einem ganz einfachen Beispiel versuchen zu erklären. Jeder von uns war schon mal in einem Kasperltheater. Wenn der Kasperl in gefahr ist, weil sich das Krokodil von hinten nähert, dann schreien die Kinder: Kasperl, pass auf!
Die Kinder befinden sich im äußeren Kommunikationssystem, der Kasperl und das Krokodil im inneren.
Im inneren Kommunikationssystem wissen die handelnden Figuren nicht immer über die gesamtheit der Handlung und den Fortgang des Dramas Bescheid. Da gibt es Täuschungen, Lügen, Intrigen, da wird hintenrum geredet über Abwesende. Die sichtbaren Figuren wissen nicht genau, was die unsichtbaren, die abwesenden, über sie denken und sagen, und handeln entsprechend. Das bedeutet, die Figuren im inneren Kommunikationssystem sind nicht immer ausreichend informiert über das, was sie angeht, und das, was sie nichts angeht.
Die Zuschauer hingegen befinden sich im äußeren Kommunikationssystem und wissen über alles, was geschieht, Bescheid. Drum warnen die Kinder den Kasperl. Kinder vergessen während des Stückes, dass sie im Theater sind. Sie werden Teil des geschehens, erfahren sich als Beteiligte, weil sie glauben, das, was auf der Bühne passiert, ist wahr.
Halbwegs normale Zuschauer verhalten sich im Theater anders. Sie wissen, was gespielt wird, gehen aber trotzdem im geschehen mit. Der erwachsene Zuschauer weiß, dass er sich im Theater befindet und Mackie Messer nicht wirklich aufgehängt wird.
In der Interferenz des äußeren und des inneren Kommunikationssystems ergeben sich für den Zuschauer dramatisch-ironische Sequenzen.
So, und nun übertragen wir dieses Theaterprinzip, das wir eben am Beispiel des Kasperltheaters erläutert haben, auf die Bibel.
Als Jesus seinem Jünger Petrus prophezeit, dass er ihn verraten wird, noch ehe der Hahn dreimal gekräht haben wird, wissen wir als gläubige Zuschauer doch bereits, wie die geschichte weitergeht, und können schon mal wissend anfangen zu lachen. Als gläubige Christen werden wir aber nicht lachen, sondern wissend nicken, weil sich erfüllt, was geschrieben steht.
Dieses Kommunikationssystem der dramatischen Ironie auf die Bibel bezogen, bedeutet: Der gläubige ist Teil des Stückes und weiß von Anfang an, wie es ausgeht, weil er an das Ende glaubt. Er weiß, was am dritten Tag nach der Kreuzigung des gottessohnes passieren wird, und er weiß, was am Jüngsten Tag los sein wird. Er kann nicht aus seinem glauben herausgehen wie aus einem Theaterstück. Das Ende des Stückes betrifft ihn unmittelbar. Alles, was in diesem Leidensstück des Herrn gespielt wird, erkennt der gläubige nicht als Stück, sondern als Wahrheit. Wenn ich etwas als wahr erkannt habe, fällt es mir schwer, mich humorvoll davon zu distanzieren, weil die humorvolle Distanz das Stück als ganzes infrage stellt. Wer lacht schon über die letzten Wahrheiten? Außer er hält sie für komisch.
gläubige befinden sich in einer ähnlichen Lage wie die Kinder im Kasperltheater. Was sich vor ihren Augen abspielt, halten sie für wahr. Nur müssen gläubige Jesus nicht vor den gefahren warnen, denn genau diese gefahren müssen sich ja erfüllen, damit die Welt erlöst wird.
gläubige Rezipienten des Evangeliums verfügen über mehr »Informationen« als die handelnden Figuren in der Leidensgeschichte des Herrn. Weil sie von vornherein wissen, wie die geschichte ausgeht und wie sie für sie selber als gläubige ausgehen soll, ja muss, bekommt das geschehen im Evangelium eine
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