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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Oastler.
    Mußte das genäht werden? wollte Jack wissen. Er blutete mindestens
ebensosehr wie Lucinda Fleming, als sie versucht hatte, sich selbst
aufzufressen. Küsse waren gefährlich, das war für Jack Burns nichts Neues.
    »Das ist nur ein kleiner Riß«, sagte Mrs. Oastler und drückte Jacks
Lippe zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Blut schien ihr nichts auszumachen.
Jack kannte ihr Parfüm von den vielen Nächten, die er mit ihrem Push-up- BH verbracht hatte. In dem Augenblick, in dem er an den
gestohlenen BH dachte, sah sie ihren schwarzen
Slip auf Emmas blutverschmiertem Bett. »Ich wollte, du würdest diese Spielchen
mit deiner eigenen Unterwäsche spielen, Emma«, sagte sie, doch Emmas weißer
Slip mit dem spitzenbesetzten Bündchen, der sich um den Knöchel geschlungen
hatte und über ihren linken Fuß hing, war der Beweis, daß Emma und Jack auch
mit ihrer Unterwäsche gespielt hatten. [276]  Dennoch
schien Mrs. Oastler mehr daran gelegen zu sein, ihren eigenen Slip wieder an
sich zu nehmen. »Du bist offenbar ein frühreifer Junge, Jack«, sagte sie.
    »Jack weiß alles über Tätowierungen«, sagte Emma. »Er weiß
jedenfalls alles über deine.«
    »Ja? Stimmt das, Jack?« fragte Mrs. Oastler.
    »Wenn es eine Rose von Jericho ist, weiß ich etwas darüber«, sagte
er.
    »Los, zeig sie ihm«, sagte Emma zu ihrer Mutter.
    »Jack will bestimmt nicht noch eine Rose von Jericho sehen. Ich
wette, davon hat er schon genug gesehen.«
    »Aber ich würde sie mir gern mal näher ansehen«, sagte Emma. »Jetzt,
wo ich weiß, was es ist.«
    »Vielleicht später, Emma«, sagte Mrs. Oastler. »Wir können Jack
nicht so blutverschmiert nach Hause gehen lassen.«
    »Du hast eine Vulva über deiner Vulva, und ich darf nicht mal einen
Schmetterling an meinem Knöchel haben!« schrie Emma.
    »Am Knöchel tut es ziemlich weh«, sagte Jack. »Wenn die Haut direkt
über dem Knochen ist, tut es immer weh.«
    »Wie es scheint, kennt Jack sich tatsächlich mit Tätowierungen aus,
Emma. Du solltest auf ihn hören.«
    »Ich will doch bloß einen Schmetterling!« schrie Emma.
    »Wir machen jetzt folgendes, Jack«, sagte Mrs. Oastler und ignorierte
ihre Tochter. »Ich bringe dich in mein Badezimmer, wo du dich waschen kannst.
Emma kann sich in ihrem eigenen Badezimmer waschen.« Sie nahm Jack an der Hand
und führte ihn auf dem Weg, den er bereits kannte, in ihr Schlafzimmer und von
dort in ein großes Badezimmer, in dem eine ganze Wand mit Spiegeln bedeckt war.
In der anderen Hand hatte Mrs. Oastler ihren schwarzen Slip, den sie um den
ausgestreckten Zeigefinger kreisen ließ. Er erzeugte eine schwache Brise, und
Jack roch das Parfüm, das sie aufgetragen hatte, deutlicher als zuvor.
    Sie zog ihm das blutbesprenkelte Hemd und die Krawatte aus [277]  und
ließ warmes Wasser ins Waschbecken laufen; sie wusch ihm Gesicht und Hals mit
einem nassen Waschlappen und tupfte die eingerissene Lippe, die noch immer,
wenn auch nur wenig, blutete, vorsichtig ab. Während Jack im Waschbecken das
Blut von seinen Händen wusch, rieb Mrs. Oastler mit ihren kühlen, glatten
Händen über seine Schultern. Dort war zwar gar kein Blut, aber Emmas Mutter
schien ihn ebenso gern zu berühren wie ihre Tochter. »Du wirst mal ein starker
junger Mann sein, Jack – nicht groß, aber stark.«
    »Meinen Sie?« fragte er.
    »Das weiß ich«, sagte Mrs. Oastler. »Das
sehe ich.«
    »Aha.« Dann sah er, warum ihre Hände sich so kühl und glatt
anfühlten: Sie rieb mit dem schwarzen Slip über seine Schultern.
    »Du bist offensichtlich ziemlich reif für dein Alter«, fuhr sie
fort, »wogegen Emma, obwohl sie so groß ist, in anderen Bereichen ein bißchen
unreif ist. Mit Jungen ihres Alters zum Beispiel kommt sie nicht sehr gut
zurecht.«
    »Aha«, sagte Jack wieder. Er trocknete seine Hände an einem Handtuch
ab, während Mrs. Oastler fortfuhr, mit ihrem Slip über seinen Hals und seine
Schultern zu reiben. Im Spiegel sah er ihr ernstes, konzentriertes Gesicht,
eingerahmt von der Elfenfrisur.
    »Du dagegen scheinst dich in Gesellschaft von älteren Mädchen oder
Frauen ganz wohl zu fühlen.« Er fühlte sich etwas weniger wohl, als Emmas
Mutter mit dem Slip über seinen Nacken strich und ihm das Ding aufsetzte wie
eine Mütze, wie ein seltsames, mißgestaltetes Barett. Seine Ohren sahen aus den
Löchern hervor, in denen sonst Mrs. Oastlers Beine gewesen wären. »Was sagen
wir deiner Mutter nur wegen der Lippe?« fragte sie ihn. Bevor Jack über

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