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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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mit dem feuchten Fleck
machen sollte, was er darüber sagen sollte. Vielleicht gar nichts. Doch als
seine Mutter sich zu ihm gelegt hatte, dauerte es nicht lange, bis sie den
Fleck entdeckte. »Ach, die Art von Traum«, sagte sie,
als zählte das eigentlich nicht als Alptraum.
    »Es ist kein Blut, und es ist keine Pisse«, erklärte der Junge.
    »Natürlich nicht, Jack – das ist
Sperma.«
    Jack war vollkommen verwirrt. »Ich wollte es gar nicht«, sagte er.
»Ich kann mich nicht mal erinnern, daß ich irgendwas getan hab.«
    »Es ist nicht deine Schuld, Jackie – Jungen haben nun mal feuchte
Träume.«
    »Aha.«
    Er wollte von ihr in die Arme genommen werden, er wollte sich an sie
kuscheln, wie früher, wenn er schlecht geträumt hatte, als er noch kleiner
gewesen war. Doch als er sich an sie schmiegen wollte, streifte seine Hand
unabsichtlich ihren Busen, und sie schob ihn zurück. »Ich glaube, du bist zu
alt, um im selben Bett wie ich zu schlafen«, sagte sie.
    »Ich bin gar nicht zu alt!« rief Jack. Wie konnte zwischen nicht alt genug und zu alt so
wenig Zeit liegen? Er hätte am liebsten geweint, doch er weinte nicht. Seine
Mutter schien es dennoch zu spüren.
    [332]  »Nicht weinen, Jack – du bist beinahe zu alt, um zu weinen«,
sagte sie. »Wenn du auf der neuen Schule bist, kannst du nicht mehr weinen.
Wenn du weinst, werden die anderen Jungs dich hänseln.«
    »Warum muß ich auf die neue Schule?« fragte er sie.
    »Es ist für alle besser«, sagte Alice. »Unter den gegebenen
Umständen ist es einfach besser.«
    »Was für Umständen?«
    »Es ist eben besser«, sagte sie.
    »Für mich ist es eben nicht besser!« rief Jack. Sie legte die Arme
um ihn, und er durfte sich an sie kuscheln. So war er immer eingeschlafen, als
er vier gewesen war und sie durch Europa gereist waren.
    Jack hätte seiner Mutter von Mrs. Machado erzählen sollen. (Seine
Mutter hätte dann vielleicht gemerkt, daß er noch nicht alt genug war, daß nichts an ihm alt genug war.) Aber Jack erzählte es ihr
nicht. Er schlief in ihren Armen ein wie früher – oder beinahe wie früher.
Etwas an ihrem Geruch war anders; das Gesicht seiner Mutter verströmte einen
seltsamen Duft. Jack merkte, daß es derselbe starke Geruch war, den er beim
Baden wahrgenommen hatte. Vielleicht war er da von Mrs. Machado gekommen.
Eigenartigerweise hätte er wieder nicht sagen können, ob ihm der Geruch gefiel
oder nicht. Er roch ihn noch im Schlaf.
    Wie lange war Leslie Oastler schon in seinem Zimmer, wie lange saß
sie schon auf Alice’ Seite des Betts? Als Jack erwachte und sie sah, erkannte
er sie im ersten Augenblick nicht. Er dachte, es sei die Buntglasheilige. Sie
war zurückgekehrt, um ihn zu holen! (Vielleicht war das die Methode, mit der
heilige Frauen Besitz von einem ergriffen: Sie zogen sich aus!)
    Leslie Oastler war nackt und rieb Alice über die Stelle, an der
Boris das chinesische Zeichen für »Glück« und Pawel einen Haken hatte.
    [333]  Jack schien eine Sekunde vor seiner Mutter erwacht zu sein. »Du
hättest dir was anziehen sollen, Leslie«, sagte Alice.
    »Ich hab geträumt«, sagte Mrs. Oastler.
»Schlecht geträumt.«
    »Geh wieder in dein Zimmer, Leslie – ich komme gleich«, sagte Alice.
Jack sah Mrs. Oastler hinausgehen; sie war bestimmt sehr stolz auf ihren
Körper, dachte der Junge. Seine Mutter küßte ihn auf die Stirn. Da war wieder
dieser Geruch; Jack schloß die Augen und versuchte zu entscheiden, ob er ihm
gefiel oder nicht. Seine Mutter küßte ihn auf die Augen. Es war ein Geruch, der
nicht leicht zu mögen war – dennoch beschloß Jack, ihn zu mögen.
    »Es tut mir leid, Jack«, sagte seine Mutter. Er hielt die Augen
geschlossen und hörte, wie sich die Schritte ihrer nackten Füße durch den Flur
entfernten.
    Er konnte Emmas Rückkehr aus dem Salatorium in Kalifornien kaum
erwarten. Emma würde ihm bestimmt helfen, diese neuen und beunruhigenden
»Umstände« zu verstehen – um das Wort zu gebrauchen, mit dem seine Mutter ihre
Beziehung zu Mrs. Oastler umschrieb.
    Mit Mrs. Machado als Trainingspartnerin verbesserten sich Jacks
Fertigkeiten deutlich – wenn auch nicht so deutlich wie ihre. Sie war eine
resolute Gegnerin, die sogar Tschenko beeindruckte, und sie wog doppelt soviel
wie Jack, ein Vorteil, den er nicht wettmachen konnte. In Oberlage schaffte er
es noch immer, sie auf der Matte zu halten – das Problem war eher, wie er sie
zu Fall bringen sollte. Beim Standkampf kontrollierte sie das Geschehen

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