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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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am Ende des [329]  Gästeflügels als Silhouette zu sehen. Ihre dickliche, untersetzte Gestalt
ließ Jack an eine Bemerkung denken, die Tschenko über Mrs. Machado und ihre
Haltung im Ring gemacht hatte, nämlich daß sie dastehe wie ein Bär, der sich
auf die Hinterbeine gestellt habe – als fühlte Mrs. Machado sich auf allen
vieren wohler.
    Sie stand im Flur und flüsterte, als wollte sie ihn an ihr Geheimnis
erinnern: » Boa noite, Miiiester Penis!«
    Jack schlief nicht gut, er hatte natürlich lebhafte Träume.
Beunruhigte ihn die Vorstellung, daß die Buntglasheilige, während er schlief,
womöglich wieder zu ihm ins Bett schlüpfte? Oder hatte er Angst, sie könnte ihm
den Rücken gekehrt haben, so wie er fürchtete, Gott den Rücken gekehrt zu
haben?
    Jack merkte, daß seine Mutter und Mrs. Oastler nach Hause gekommen
waren, und zwar nicht weil er davon aufwachte, daß Alice in sein Zimmer kam und
ihn küßte – jedenfalls sagte sie, daß sie jede Nacht
in sein Zimmer kam und ihn küßte –, sondern weil die Flurbeleuchtung anders
war. Das Licht brannte nicht mehr nur am Ende des Flurs, sondern fiel auch
durch die offene Tür des Badezimmers seiner Mutter. Auch in Jacks Badezimmer
war, wie er an der schmalen, hellen Linie unter der Tür sah, das Licht
eingeschaltet.
    Jack wußte auch, daß er einen feuchten Traum gehabt hatte, denn der
kalte, feuchte Fleck auf dem Laken war getrocknet – doch daneben war ein noch
feuchter Fleck, wo sein Kleiner ein paar weitere Freudentränen vergossen hatte.
Vielleicht hatte er von Mrs. Machado geträumt. Er fragte sich, ob er Emma von
seinem feuchten Traum, auf den sie ja schon so lange wartete, erzählen sollte.
(Jack Burns fragte sich, ob er jemals irgend jemandem von Mrs. Machado erzählen
würde.)
    Er stieg aus dem Bett und ging über den Flur zum Zimmer seiner
Mutter. Alice war nicht da, nicht einmal ihr Bett war aufgedeckt. Der Junge
machte sich daran, in dem dunklen Anwesen [330]  seine Mutter zu suchen. Mrs.
Machado schien bereits nach Hause gegangen zu sein, denn das Licht im
Erdgeschoß war ausgeschaltet. Jack ging vom Gästeflügel zu dem Flur, der an
Emmas leerem Zimmer vorbeiführte. Unter der Tür von Leslie Oastlers
Schlafzimmertür sah er ein flackerndes Licht.
    Jack nahm an, daß Mrs. Oastler und seine Mutter sich etwas im
Fernsehen ansahen. Er klopfte, doch sie hörten ihn nicht. Vielleicht vergaß er
auch zu klopfen und öffnete einfach die Tür. Der Fernseher war ausgeschaltet –
das flackernde Licht kam von einer Kerze auf dem Nachttisch.
    Zunächst dachte er, Mrs. Oastler sei tot. Ihr Rücken war
durchgedrückt, als wäre ihr Rückgrat gebrochen, und ihr Kopf hing über die
Bettkante, so daß ihr Gesicht Jack zugewandt war – allerdings verkehrt herum.
Der Junge merkte, daß sie ihn gar nicht sah. Sie war nackt und starrte mit weit
aufgerissenen Augen zu ihm her, als hätte das trübe Flurlicht ihn unsichtbar
gemacht – oder als wäre er derjenige, der tot war,
und sie würde einfach durch ihn hindurchsehen. Vielleicht, dachte Jack, war er
im Verlauf seines feuchten Traums gestorben. (Er wäre nicht überrascht gewesen
zu erfahren, daß die Sache mit Mrs. Machado ihn getötet hatte – nicht nur der
Kick, sondern auch der ganze Rest.)
    Alice fuhr hoch und bedeckte die Brüste mit den Händen. Auch sie war
nackt, aber Jack bemerkte sie erst, als sie sich bewegte. Sie saß kerzengerade
da, umschlungen von Leslie Oastlers Beinen. Mrs. Oastler hatte sich nicht
gerührt, doch Jack fiel auf, daß ihre Augen jetzt nicht mehr blicklos waren; es
erleichterte ihn sehr, daß sie ihn wahrnahm.
    »Ich bin nicht gestorben, aber ich hab schlecht geträumt«, sagte er
zu ihnen.
    »Geh wieder in dein Zimmer, Jack – ich komme gleich«, sagte Alice.
Sie suchte ihr Nachthemd und fand es, in die Laken verwickelt, am Fußende des
Betts. Leslie Oastler lag nackt da und [331]  starrte Jack an. Im Kerzenlicht sahen
die rosenroten Blütenblätter ihrer Rose von Jericho aus, als wären sie in zwei
verschiedenen Schwarztönen gehalten: schwarz und schwärzer.
    Jack war im Flur, auf dem Weg zu seinem Zimmer, als er Mrs. Oastler
sagen hörte: »Du solltest nicht im selben Bett schlafen wie er, Alice – er ist
zu alt dafür.«
    »Das tue ich ja auch nur, wenn er schlecht geträumt hat«, sagte
Alice.
    »Du tust es immer, wenn Jack es will«, sagte Mrs. Oastler.
    »Tut mir leid, Leslie«, hörte Jack seine Mutter sagen.
    Er lag in seinem Bett und wußte nicht, was er

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