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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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daß
Mister Penis niemals ausgenützt werden würde. Aber von wem? Von willigen
Mädchen und verderbten Frauen?
    [337]  Erst als Erwachsener ging Jack zu einer Psychiaterin, die ihm
sagte, daß viele Frauen, die Kinder mißbrauchten, glaubten, diese zu
beschützen, und daß das, was wir Mißbrauch nennen, für diese Frauen eine Art
von Bemutterung ist. (»Verdreht!« wie ein Mädchen, das Jack noch nicht
kennengelernt hatte, gesagt hätte.)
    Am meisten fiel ihm zu jener Zeit auf, daß er sich von einem Jungen,
der vor seiner Mutter nichts verbergen konnte, in einen Jungen verwandelte, der
entschlossen war, alles vor ihr zu verbergen. Nicht nur fügte er sich darein,
daß er und Mrs. Machado Sex miteinander hatten, es leuchtete ihm auch völlig
ein, daß die Sache geheimgehalten werden mußte, vor allem vor seiner Mutter.
    Alice war sowohl von Leslie Oastler als auch von dem Entschluß, zu
ihrem Sohn auf Abstand zu gehen, so in Anspruch genommen, daß Jack alles vor
ihr hätte verbergen können. Daß Mrs. Machado unentwegt Wäsche wusch – nicht nur
Jacks Laken und Handtücher, seine Unterhosen und Trainingsanzüge, sondern auch
Alice’ und Mrs. Oastlers Sachen –, fiel den beiden Frauen nicht auf.
(Wahrscheinlich wäre es Alice und Mrs. Oastler auch entgangen, wenn er Mrs.
Machado geschwängert hätte – sofern das überhaupt möglich gewesen wäre.)
    Als Emma Anfang August von der Georgian Bay zurückkehrte, ganz braun
gebrannt, die dunklen Haare auf den Armen sonnengebleicht, bemerkte sie sofort,
daß er sich verändert hatte, und zwar nicht bloß, weil ihre und seine Mutter
ein Paar waren. »Was ist los mit dir, Zuckerbär?« fragte sie ihn. »Wozu das viele
Training? Man könnte ja meinen, du gehst mit Mrs. Machado nicht auf die Matte,
sondern ins Bett!«
    Später wunderte sich Jack, daß Tschenko – oder Boris oder Pawel –
keinen Verdacht geschöpft hatten. Immerhin fiel ihnen auf, daß viele Frauen aus
Krungs Kickbox-Gruppen ungewöhnlich interessiert zusahen, wenn Jack mit Mrs.
Machado kämpfte. Und nach ihrer Rückkehr von der Georgian Bay war es auch
wieder Emma, die sich abends um ihn kümmerte. Natürlich hatten Tschenko, Boris
und Pawel gesehen, daß er die Sporthalle [338]  regelmäßig in Begleitung von Mrs.
Machado verließ – beinahe jeden Tag für ein, zwei Stunden, entweder am späten
Vormittag oder am frühen Nachmittag.
    »Är ist ein Junge, där wächst, und es ist August in där Stadt! Är
braucht ein bißchen frische Luft!« verkündete Mrs. Machado.
    Sie gingen in ihre Wohnung in der St. Clair Street, die bequem zu
Fuß zu erreichen war. Das Haus war dunkelbraun und schmutzig und hatte keinen
Aufzug. Im zweiten Stock lag Mrs. Machados spärlich möblierte Wohnung. Man
hatte einen Blick auf den Graben hinter dem Sir Winston Churchill Park und den
Wasserturm, und in dem kleinen Hof, in dem das Gras verkümmert war, standen
unbenutzt ein Klettergerüst, eine Schaukel und eine Rutsche – als wären alle
Kinder in diesem Haus erwachsen geworden und »weggezogen« und keine neuen
geboren worden, die an ihre Stelle hätten treten können.
    Die Luft in Mrs. Machados kleiner Wohnung war nicht frischer als in
der Sporthalle. Jack fiel auf, daß keine Familienfotos zu sehen waren. Daß es
keine Bilder von Mrs. Machados Exmann gab, war ja nicht weiter verwunderlich –
immerhin hatte er sie mehrfach tätlich angegriffen. Warum also sollte sie ein
Foto von ihm aufhängen? Doch von ihren Kindern gab es nur zwei Fotos, eines von
jedem Jungen, und darauf sahen sie aus, als wären sie beide etwa in Jacks
Alter, obwohl Mrs. Machado sagte, zwischen ihnen seien vier Jahre Abstand, und
sie seien »jetzt ganz ärwachsen«. (Sie wollte Jack nicht verraten, wie alt sie
inzwischen waren – als brächten diese Zahlen vielleicht Unglück oder als wollte
sie sich einfach nicht eingestehen, daß sie keine Kinder mehr waren.)
    Es war bestenfalls eine Einzimmerwohnung, und in dem einen Zimmer
befanden sich nur eine Kommode und eine große Matratze, die auf dem Boden lag.
In der Küche gab es eine Theke, aber keinen Schrank für das Geschirr. Es gab
nur sehr wenige [339]  Küchengerätschaften, und so vermutete Jack, daß Mrs.
Machado, wenn überhaupt, dann nicht zu Hause aß. Wie sie ihre Familie satt
bekommen hatte, als sie noch eine Familie gehabt hatte, war Jack ein Rätsel.
Sie besaß nicht einmal einen Eßtisch und Stühle, und an der auffallend leeren
Theke stand nur ein einziger Hocker.
    Die Wohnung

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