Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
in
einem Maße, daß er keinen Knöchelgriff mehr ansetzen konnte. Ein Armreißer mit
Beinangriff von außen war der einzige Angriff, mit dem er sie gelegentlich auf
die Matte legen konnte, und dann war Mrs. Machado nur mit einem Hammerlock zu
halten. Sie war einfach zu stark für ihn, besonders wenn es um die
Handkontrolle ging. Aber Jack merkte, daß er besser wurde.
    Das merkte auch Mrs. Machado, und sie ermunterte ihn. Zwei [334]  Drittel der Punkte gingen auf ihr Konto, doch dann war sie diejenige, die
eine Pause brauchte. Jack ermüdete nicht.
    Ringen sei ein Sport mit Gewichtsklassen, erinnerte ihn Tschenko.
Wenn Jack jemals Gelegenheit haben sollte, mit einem Jungen seiner Größe zu
ringen, würde er ihn klar besiegen, da waren sich Boris und Pawel einig. Aber
leider kannte Jack niemanden, der so groß war wie er selbst, jedenfalls nicht
in diesem Sommer.
    Als Emma aus dem Salatorium zurückkam, hatte sie zehn Pfund
abgenommen, aber ihre Vorlieben und Eßgewohnheiten waren unverändert geblieben.
»Die haben mich einfach hungern lassen«, berichtete sie.
    Emma wog noch immer mehr als Mrs. Machado, deren Stelle als Kindermädchen
sie für kurze Zeit übernahm. Emma war nur knapp eine Woche lang in Toronto,
bevor sie zum Ferienhaus ihres Vaters an der Georgian Bay fuhr, wo sie den
ganzen Juli bleiben würde. An den wenigen Abenden, die sie gemeinsam
verbrachten, hätte Jack ihr von Mrs. Machado erzählen können. Doch er tat es
nicht. Was er ihr über seine und ihre Mutter erzählte – daß er sie im Bett
ertappt hatte –, war schon beunruhigend genug, und daß Emma kein bißchen
überrascht war, beunruhigte ihn noch mehr. »Also, außer lecken hab ich sie schon alles mögliche machen sehen«, sagte sie angewidert. »Kein
Wunder, daß sie dich nach Scheiß-Maine schicken und aus mir eine
Scheiß-Internatsschülerin machen!«
    »Lecken?«
    »Denk nicht weiter darüber nach, Jack. Sie sind ein Paar, kapiert? Sie lieben sich so, wie Frauen normalerweise
Männer lieben und umgekehrt.«
    »Aha.«
    »Es ist mir egal, was sie machen!« rief Emma. »Was mich sauer macht,
Zuckerbär, ist die Tatsache, daß sie mit uns nicht darüber reden wollen! Sie
schieben uns einfach ab!«
    [335]  Jack fand, daß er ebenfalls das Recht hatte, sauer zu sein. Daß
überall im Haus Fotos von Emma oder Jack oder beiden standen, erschien ihm wie
eine weitere Ungerechtigkeit. Diese Bilder waren doch der Beweis, daß sie eine
Familie waren, daß Emma und Jack hierhergehörten –, und dennoch schickte man
sie fort!
    Und wenn Jacks Mutter mit ihm nicht über ihre Liebhaberin sprechen
wollte, warum sollte er ihr dann von Mrs. Machado erzählen? Er hätte mit Emma
über Mrs. Machado reden sollen, oder vielmehr: Er hätte es zu einem früheren
Zeitpunkt tun sollen. Doch im Handumdrehen war es Juli, Emma fuhr zur Georgian
Bay, und Mrs. Machado war wieder Jacks Sparringspartnerin und Kindermädchen.

[336]  15
    Freunde fürs Leben
    Wenn das, was Mrs. Machado mit ihm machte, »Mißbrauch«
war, warum fühlte Jack sich dann nicht mißbraucht? Es sollte nicht mehr lange
dauern, bis Jack andere Beziehungen hatte, von denen er wußte, daß sie sexueller Natur waren, und darin erkannte er Dinge wieder, die er mit
Mrs. Machado erlebt hatte. Doch zu der Zeit, in der das alles geschah, fehlte
ihm noch der Erfahrungshorizont, vor dem er hätte erkennen können, wie
unangemessen ihr Verhalten war.
    Manchmal tat sie ihm körperlich weh, doch nie absichtlich. Und er
fühlte sich von ihr abgestoßen, oft aber auch – gelegentlich sogar gleichzeitig
– zu ihr hingezogen. Er hatte auch oft Angst. Jedenfalls verstand Jack weder,
was sie mit ihm machte, noch, warum sie es tat – ebensowenig wie er verstand,
was sie von ihm erwartete und wie er es bewerkstelligen sollte.
    Nur eines war sicher: Sie liebte ihn. Er spürte es, und keine
spätere Rekonstruktion der Lücken in seinem anpassungsfähigen Gedächtnis konnte
ihn davon überzeugen, daß sie ihn nicht aus tiefstem Herzen geliebt hatte. Ja,
so verwirrend das alles auch war – zu einer Zeit, da seine Mutter ihn nach
Maine abschob, vermittelte Mrs. Machado ihm das Gefühl, geliebt zu werden.
    Mrs. Machado wurde nur ein einziges Mal ärgerlich, und das
interessanterweise, als Jack sie nach ihren eigenen Kindern fragte. Er nahm an,
daß sie einfach erwachsen geworden und »weggezogen« waren, aber für sie war es
ein wunder Punkt.
    Mrs. Machado hoffte inständig – jedenfalls sagte sie das –,

Weitere Kostenlose Bücher