Bis ich dich finde
enttäuscht war. Die Kleinlichkeit, mit der
sie aneinander herumgenörgelt hatten, hatte sie beide strapaziert. Und die neue
Tätowierung scheuerte beim Gehen. Mit Mrs. Oastlers Erlaubnis hatte sie sich
einen von Emmas Röcken ausgeliehen. Er war ihr zwar viel zu groß, aber
wenigstens konnte sie damit so breitbeinig laufen, als trüge sie eine Windel.
Jack fand die Retrospektive des Festivals interessanter als die
Wettbewerbsbeiträge. Der einzige Film, den Jack und Claudia allein gesehen
hatten, war Die Ehe der Maria Braun von Fassbinder.
Jack liebte diesen Film.
Hanna Schygulla spielt die Frau eines Soldaten, die es im
Deutschland der Nachkriegszeit zu einigem Erfolg bringt. Es gibt Schlimmeres,
als einen Film mit Hanna Schygulla zu sehen, während eine Frau einem den Penis
hält. Das Problem war: Zwar war dies der erste und einzige Film des Festivals,
bei dem Claudia seinen Penis hielt, aber Jack hatte Die Ehe
der Maria Braun schon einmal gesehen, und zwar mit Emma, als er vierzehn [475] gewesen war. (Das war in dem Kino in Durham gewesen, in seinem ersten Jahr
in Exeter.)
Der Vergleich war irritierend, der Vorbote einer Erkenntnis, die
sein Leben verändern sollte: Jack wurde bewußt, daß ihm die Art, wie Emma
seinen Penis hielt, besser gefiel als jede andere. (Natürlich hoffte er noch
immer auf Michele Maher.)
»Liegt es an mir oder Hanna?« hatte Claudia ihm ins Ohr geflüstert,
als sie seine lebhafte Reaktion bemerkte. Jack wußte, daß es weder Claudia noch
Fräulein Schygulla war, die seinen Penis strammstehen ließ, sondern die
Erinnerung an Emma, die seinen Kleinen gehalten hatte, als er erst vierzehn
gewesen war.
Von diesem Augenblick in Die Ehe der Maria Braun an wußte Jack, daß ihre Zeit ablief. Sie fuhren nur einfach fort zu tun, was
sie immer taten, wie ein altes Ehepaar, das weiß, daß die Scheidung bevorsteht.
Die Trennung von Claudia war im Frühjahr zuvor eingeleitet worden,
als sie nach Iowa gefahren waren, um Emma zu besuchen. Durch das
»Kinder-Thema«, wie Claudia sagte. Während des Filmfestivals war es weiter
bergab gegangen. Und auf dem Rückweg von Toronto wurde es noch schlimmer.
Sie nahmen eine andere Strecke als auf dem Hinweg. Es war nicht die
beste, aber die Fahrt war ohnehin langweilig, ganz gleich, für welche Strecke
man sich entschied. Sie fuhren nach Kingston, Ontario, überquerten den
St.-Lorenz-Strom bei Gananoque und kamen bei Alexandria Bay in den Bundesstaat
New York. An der Grenze gab Jack dem Zollbeamten seinen kanadischen Paß mit dem
Studentenvisum, Claudia reichte ihm ihren amerikanischen Paß. Jack saß am
Steuer des Volvos. Claudia wollte nicht fahren, weil die neue Tätowierung noch
immer schmerzte. Sie trug Emmas zu großen Rock; Leslie Oastler hatte darauf
bestanden, daß sie ihn mitnahm. »Wenn Emma das nächste Mal kommt, wird er ihr
sowieso zu eng sein«, hatte sie [476] pessimistisch gesagt. »Dir steht er viel
besser als ihr, obwohl er so riesig ist.«
Während des größten Teils der Fahrt hatte Claudia den Rock
hochgeschlagen, damit Luft an das chinesische Zepter kam, auf das sie immer
wieder Feuchtigkeitscreme auftrug. Rings um die Tätowierung war die Haut etwas
gerötet, und sie war es leid zu hören, die Haut an der Innenseite der Glieder
sei besonders zart.
Als Jack am Grenzübergang anhielt, bedeckte Claudia ihre Beine. Der
Zollbeamte musterte die Insassen des Wagens. »Wir haben meine Mutter in Toronto
besucht«, sagte Jack ungefragt. »Und wir haben uns beim Festival ein paar Filme
angesehen.«
»Führen Sie irgend etwas aus Kanada ein?« wollte der Beamte wissen.
»Nein«, sagte Claudia.
»Nicht mal kanadisches Bier?« fragte der Mann sie und lächelte. Sie
sah wirklich phantastisch aus.
»Ich trinke kein Bier, und Jack achtet auf sein Gewicht«, antwortete
sie.
»Dann haben Sie also nichts anzugeben?« fragte der Zollbeamte Jack
mit etwas strengerer Stimme.
Jack wußte nicht, was in ihn fuhr. (»Es sollte bloß ein kleiner Witz
sein«, sagte er später zu Claudia, doch es steckte mehr dahinter.)
Es war etwas für eine Großaufnahme: Jack schaltete seinen unsteten
Blick an. Diesen Blick konnte er ziemlich gut; er hatte ihn bei verschiedenen
Hunden studiert, besonders bei feigen, hinterhältigen Hunden. »Na ja«, begann
er und unterbrach sich, um Claudia einen unsteten Blick zuzuwerfen. »Das
chinesische Zepter müssen wir nicht angeben, oder?« fragte er sie. Ach, wie
vernichtend sie ihn ansah!
»Das was?« fragte der
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