Bis ich dich finde
gar nicht erst drehen sollen.
»Aber wenn die Studiobosse einen Haufen schlechter Drehbücher lesen
wollten, warum sollten sie dann eine Leserin – eine Schundleserin –
einstellen?« fragte Jack sie. Er fand es natürlich, daß der Erstleser meist
auch der einzige Leser blieb.
Emma sah das anders. Sie war verärgert und uneinsichtig. »Selbst
wenn sie schlecht sind, sollten die Bosse sie lesen«, beharrte sie.
[507] »Aber sie bezahlen dich, Emma, damit sie den ganzen Schrott nicht
lesen müssen.«
»Jemand hat diesen Schrott aber geschrieben, Süßer. Und dafür
Stunden um Stunden gebraucht.«
Sicher übertrieb Emma, wenn sie sagte, das Filmstudium sei reine
Zeitverschwendung gewesen. Was hatte es für einen Zweck zu lernen, gute von
schlechten Filmen zu unterscheiden? lautete ihr Argument. Die Art, wie die
Filmindustrie funktionierte, hatte mit Film als Kunstform nichts zu tun. Jack
fand, daß Emmas Rachemotiv zu wünschen übrigließ – nicht das Filmstudium,
sondern die Machenschaften der Filmindustrie hatten ihre Zeit verschwendet.
Emma bestand darauf, die Studiobosse seien dafür verantwortlich, daß
viele schreckliche Filme gedreht worden seien, die nie hätten gedreht werden
sollen; als kleine Buße für diese Verbrechen sollten sie vom Lesen schlechter
Drehbücher nicht ausgenommen sein.
Jack argumentierte, Emma solle sich lieber mehr über das erregen,
was in den seltenen Fällen geschah, in denen ein unbekannter Drehbuchautor ein
Buch verfaßt hatte, das die Studiobosse tatsächlich gelesen hatten und das
ihnen gefiel. In nur zwei Fällen hatte sich Emma in ein unverlangt
eingesendetes Manuskript verliebt, und in beiden Fällen war es ihr gelungen,
die Studiobosse zu überreden, das Buch zu lesen. Beide Male hatten sie prompt
die Rechte erworben und dem Autor ein Honorar für eine Überarbeitung geboten.
Dann hatten sie diese zweite Fassung verworfen, den Autor ausgezahlt und einen
etablierten Autor engagiert, damit dieser dem Buch die bewährte, konventionelle
Fasson gab. Was immer gut genug gewesen war, um Emmas Aufmerksamkeit zu
erregen, war getilgt, doch das Studio besaß nun, was man als »geistiges
Eigentum« bezeichnete, und fuhr fort, es weiterzuentwickeln.
Das störte Emma nicht im geringsten. »Daran ist der Autor [508] schuld
– er hat sich vom Geld blenden lassen. Das tun die Autoren immer. Wenn man die
Kontrolle über ein Drehbuch behalten will, darf man sich nicht auszahlen
lassen. Du darfst dich von diesen Wichsern nicht mal zum Mittagessen einladen
lassen, Süßer.«
»Aber was, wenn der Autor das Geld braucht?« fragte Jack. »Er muß
doch wahrscheinlich auch mal zu Mittag essen, oder?«
»Dann sollte er sich einen Brotjob suchen«, sagte Emma.
Diese Diskussionen mit Emma machten Jack wahnsinnig. Er machte sich
auch Sorgen über Emmas Roman, er fürchtete, daß das Niveau vielleicht auf das
eines autobiographischen Gejammers absinken würde, daß es eine wahre Geschichte
sein würde, ohne eine Spur von Phantasie und voller wütender Vorwürfe und
enthüllender Anekdoten, die er allesamt kannte. Daß die Hauptfigur von Die Schundleserin eine junge Kanadierin war, die nach ihrer
Schulzeit »im Osten« nach L.A. gekommen war und
Emmas Job hatte, klang, wie Jack fand, nicht gerade verheißungsvoll. Aber Emma
hatte eine Hauptfigur entworfen, die vollkommen anders war als sie selbst, und
eine Geschichte, die Jack viel interessanter fand als ihre eigene. Und sie
schrieb gut, Satz für Satz. Sie unterzog sich der notwendigen Mühe, das
Geschriebene zu überarbeiten.
Emma hatte eine heldenhafte Hauptfigur geschaffen, die zu rührend
selbstlosen Gesten fähig war, wogegen Emma selbst meist zu zynisch war, um
heldenhaft zu sein. Die Titelfigur von Die Schundleserin ist keine Zynikerin. Ganz im Gegenteil: Michele Maher (ausgerechnet!) ist eine
optimistische Frau, reinen Herzens und mit einem unbeirrbar sonnigen Gemüt. Sie
ist eine derart selbstlose junge Frau, daß ihre Reinheit sogar die
entwürdigendsten Situationen übersteht, und davon erlebt sie einige.
Im Gegensatz zu Emma ist Michele geradezu unnatürlich dünn und muß
sich zwingen zu essen. Sie geht in Fitness-Studios [509] und kauft in Bioläden
ein, sie stopft sich mit Proteinpulver voll und nimmt all die
»Nahrungsergänzungsmittel«, auf die Bodybuilder schwören, und doch gelingt es
ihr nicht, auch nur ein Kilo zuzunehmen. Obwohl sie ständig Hanteln stemmt,
bleibt sie dünn wie eine Bohnenstange. Michele Maher
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