Bis ich dich finde
hat die Statur und den
Stoffwechsel eines zwölfjährigen Jungen.
Außerdem hat Michele, auch dies im Gegensatz zu Emma, ein schlechtes
Gewissen wegen der Bücher, die sie liest. Die übelsten, eingebildetsten Autoren
brechen ihr das Herz. Michele will ihnen helfen, bessere Drehbuchschreiber zu
werden – ein sinnloses Unterfangen, zu dessen Zweck sie ihnen unter dem
Briefkopf des Studios ermunternde Briefe schreibt. Diese Briefe sind in Inhalt
und Ton völlig anders als die Beurteilungen, die Michele für die Studiobosse
schreibt und die extrem kritisch sind. Kurz gesagt: Sie macht ihre Arbeit gut.
Sie verrät den Bossen alle Gründe, warum sie diesen Schrott nicht lesen
sollten.
Doch für jeden abgrundtief schlechten Drehbuchschreiber ist Michele
Maher ein Hoffnungsengel. Selbst für die gräßlichsten Ausgeburten seiner
Phantasie findet sie noch freundliche Worte. Im ersten Kapitel von Die Schundleserin schreibt sie einen herzlichen, ja
begeisterten Brief an einen über und über tätowierten Bodybuilder und Pornostar
namens Miguel Santiago. Sein Künstlername in der Pornobranche ist Jimmy.
In dem nichtswürdigen Drehbuch, das auf seiner Lebensgeschichte
basiert, stellt er sich als Pornostar vor, der seine Arbeit haßt. Er kann nur
auf Kommando einen Ständer haben, indem er sich vorstellt, er sei der junge
James Stewart, der sich in Engel aus zweiter Hand in
Margaret Sullavan verliebt oder sich in Ist das Leben nicht
schön? einem sentimentalen häuslichen Glück mit Donna Reed hingibt. Es
gelingt ihm, die Dreharbeiten zu Epen wie Gelangweilte
Hausfrauen IV und Heiße Lippen durchzustehen, indem er sich einbildet, er sei
der berühmte Jimmy Stewart in diesen Schwarzweiß-Meisterwerken.
[510] Eine Story gibt es nicht. Wir sehen Santiago beim Hanteltraining,
wir sehen, wie er tätowiert wird, wir sehen, wie er Dialoge aus Engel aus zweiter Hand und Ist das Leben
nicht schön? auswendig lernt, und natürlich sehen wir ihn auch als den anderen Jimmy. In ihrer Beurteilung stellt Michele fest,
dieser Film sei »nicht machbar« – mindestens ein Drittel davon sei reine
Pornographie. Doch in ihrem Brief an Santiago bezeichnet Michele sein Drehbuch
als »bittersüße Memoiren«. Und ihr Brief nimmt eine Wendung ins Persönliche:
Sie fragt Miguel, in welchem Fitness-Studio er trainiert.
Santiago denkt natürlich, Michele Maher sei keine Schundleserin,
sondern Studioboss. Er hat keine Ahnung, daß sie in eine Videothek gegangen ist
und sich alle vier Gelangweilte-Hausfrauen-Filme ausgeliehen hat. In einer der
entwürdigerenden Szenen des Buches masturbiert Michele, während sie sich Heiße Lippen ansieht. Sie ist gehemmt, sie geht in das
Studio, in dem Miguel Santiago (alias Jimmy) trainiert, um ihm zuzusehen. In
dieser Hinsicht ist Michele wie Emma: Sie hat eine Schwäche für Bodybuilder. Im
Gegensatz zu Emma gibt Michele jedoch dieser Schwäche gewöhnlich nicht nach.
Und welcher Bodybuilder würde sich schon für sie interessieren? Michele sieht
aus wie eine Bohnenstange.
Was Die Schundleserin zu einem so
bewegenden Buch macht, ist die Tatsache, daß Miguel Santiago ein nicht sehr
heller, aber wirklich netter Kerl ist. Als Michele endlich ihren Mut
zusammennimmt, ihn anspricht und sich vorstellt, gesteht sie ihm, daß sie kein
Studioboss, sondern bloß eine Erstleserin ist, die Mitleid mit ihm hatte. Sie
beginnen eine Beziehung – die ein Rezensent später als » L.A. dysfunktional« bezeichnete. Das war als Lob gemeint – der Roman wurde allgemein
gepriesen. » Noirer als noir «,
schrieb die New York Times.
Michele und Miguel ziehen in eine gemeinsame Wohnung – »in
Riechweite eines Sushi-Müllcontainers in Venice«. (Jack wußte, [511] woher Emma
diesen Einfall hatte.) Sie schlafen nicht miteinander. Miguels Schwengel ist zu
groß für Michele und würde ihr nur Schmerzen bereiten. Sie hält ihn lediglich
in der Hand. (Abermals wußte Jack, woher der Einfall kam – wenn es auch in
Wirklichkeit nichts mit der Größe zu tun hatte.)
Aus beständiger, wachsender Liebe zu Michele macht Miguel sie im
Lauf der Zeit mit anderen Bodybuildern bekannt, die er im Studio kennengelernt
hat. Er hat sie beim Duschen gesehen und weiß, wer einen kleinen Schwengel hat.
Michele schläft mit ihnen. »Ein gedämpftes Vergnügen«, wie sie zu Miguel sagt.
Sie hält mit gemischten Gefühlen seinen Pornofilm-Penis und sagt ihm, sie sei
glücklich.
Was Miguel Santiago – alias Jimmy, das Peniswunder – betrifft,
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