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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    [553]  Es ist eine herzzerreißende Szene, als Johnny das zum ersten Mal
zu einem berühmten Schauspieler sagt. Der Leser weiß ja bereits, daß Johnny
kein Filmstar geworden ist, sondern nur welche herumfahren darf. Und nun muß
Carol sich von ihnen vögeln lassen!
    Anscheinend sind nur ältere Männer interessiert, und die meisten
davon sind keine bedeutenden Stars. Es sind Charakterdarsteller: Bösewichter
aus den großen Western mit verwüsteten Gesichtern und schwankendem Gang,
gealterte Cowboys mit chronischen Schmerzen im Hintern. Als Kinder haben Carol
und Johnny diese klassischen Western gesehen, es waren die Filme, die ihnen den
Wunsch eingaben, Iowa hinter sich zu lassen und nach Hollywood zu gehen.
    Zu Hause, in ihrer Doppelhaushälfte in Marina del Rey – nahe genug
am Flughafen, um die Flugzeuge zu hören und auch zu riechen –, spielen Carol
und Johnny Kostümspiele mit vertauschten Rollen. Sie bindet ihr blondes Haar zu
einem Pferdeschwanz und zieht sich ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte
an, was Johnny veranlaßt, ihr einen schwarzen Herrenanzug zu kaufen, der ihr
paßt. Sie verkleidet sich als Limousinenchauffeur und zieht sich dann für ihn
aus.
    Johnny läßt sich Carols Kleider anziehen; später kauft sie ihm einen
eigenen BH mit Einlagen und ein Kleid, das ihm
paßt. Sie frisiert ihm das schulterlange Haar und macht ihn zurecht:
Lippenstift, Lidschatten, das ganze Programm. Er läutet an der Tür, und sie
läßt ihn-als-sie ein. Er tut, als wäre er vom Escortservice und als wäre ihre
Wohnung das Hotelzimmer des Kunden. »Es ist ihre einzige Möglichkeit,
Schauspieler zu sein – zusammen, im selben Film«, schrieb Emma.
    Ein alter Western-Darsteller ist in der Stadt, um Reklame für seinen
neuen Film zu machen, den Emma als »Nouvelle Western« bezeichnete. Lester
Billings heißt eigentlich Lester Magruder und stammt aus Billings, Montana. Er
ist ein echter [554]  Cowboy, und Nouvelle Western ärgern ihn. Zu Lesters Kummer
sind Western so selten geworden, daß junge Schauspieler gar nicht mehr reiten
und schießen können. In dem sogenannten Western, für den Lester Reklame macht,
gibt es keine Guten und keine Bösen, nur Antihelden. »Es ist ein französischer Western«, sagt Lester.
    Johnny schickt Carol zu Lesters Hotelzimmer, nachdem dieser ihm
seinen Wunsch nach einem netten, normalen Mädchen gestanden hat. Aber Lester
ist eben ein echter Cowboy: Er besteigt Carol. (»Das war noch kein wirklicher
Spezialwunsch – zuerst jedenfalls«, versichert sie Johnny.) Doch dann, während
sie es auf die gewöhnliche Art treiben, hält sich Lester einen Revolver an den
Kopf. Es ist ein Colt .45, und nur eine Kammer der Trommel ist geladen. Das ist
Lesters Cowboyroulette.
    »Entweder sterbe ich im Sattel, oder ich lebe bis zum nächsten
Ritt!« ruft er. Als Lester den Hahn spannt, fragt sich Carol, wie viele
Escortservice-Mädchen in L.A. schon das Klicken
des Hammers auf der leeren Patronenkammer gehört haben, worauf Lester
weitergelebt hat bis zum nächsten Ritt. Aber nicht heute. Heute ist der Tag, an
dem Lester im Sattel stirbt.
    Es ist Nachmittag, und es sind nicht viele Gäste im Peninsula
Beverly Hills, die den Schuß hätten hören können. Außerdem sind die Gäste des
Hotels eher jung, und die Leute in der Nachbarsuite schlafen vielleicht oder
sind ein bißchen schwerhörig. Emma beschrieb das Peninsula als »ähnlich wie das
Four Seasons, aber mit mehr Nutten und Geschäftsleuten«.
    Nebenan ist die C.A.A. Vielleicht hat
ein Agent gehört, wie Lester Billing sich das Hirn rausgeblasen hat, aber sonst
sicher niemand. Und was kümmert einen Agenten ein Revolverschuß?
    Carol ruft Johnny an. Sie weiß, daß sie in der Hotelhalle und im
Lift niemandem aufgefallen ist, aber was ist, wenn jemand sie gehen sieht? Sie
ist verständlicherweise sehr aufgeregt und denkt, man sieht ihr an, daß sie
eine Prostituierte ist. Das stimmt aber [555]  nicht. Carol ist immer gekleidet wie
eine leitende Angestellte eines Studios, die eine geschäftliche Verabredung
hat. Sie ist nett und normal und sieht keineswegs wie ein Callgirl aus.
    Johnny rettet sie. Er kommt mit den nötigen Kleidern für Carol und
sich selbst in Lesters Hotelzimmer. Carol zieht ihren schwarzen Anzug an und
Johnny den BH mit den Einlagen und das Kleid, das
Carol für ihn gekauft hat. Nachdem Carol ihn geschminkt und frisiert hat, sieht
Johnny sehr viel mehr wie eine Prostituierte aus,

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