Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
zu ihr.
    »Danke«, sagte Emma. »Den hab ich von Jack – ein richtiger Knaller.«
    Mildred richtete ihren prüfenden Blick auf Jack. »Er ist süß,
nicht?« fragte Myra ihre Schwester. »Man sieht schon, woher die ganze Aufregung
rührt.«
    Jack sah, daß Milly über das Wort süß nachdachte. In ihrer Welt, das wußte Jack, war süß kein
Bringer. »Ich finde, als Frau ist er süßer«, sagte sie schließlich; sie
musterte wieder Emma und sah an Jack vorbei. Er hatte den Eindruck, daß sie
überlegte, ob sie ihn bloßstellen sollte oder nicht.
    In diesem Augenblick sagte Myra: »Du bist bloß neidisch, weil ich
ihn zuerst kennengelernt habe.«
    Oh, oh, jetzt kommt’s, dachte Jack. Doch
Milly Ascheim überraschte ihn. Sie bedachte Jack mit einem vernichtenden Blick,
als wollte sie ihn daran erinnern, daß sie wußte, wie klein sein Schwengel war,
doch sie verriet ihn nicht. Es war kein beruhigender Blick – ganz im Gegenteil.
Milly wollte Jack mitteilen, daß sie kein einziges enttäuschendes Detail seines
Castings in Van Nuys vergessen hatte. Es war nur nicht der rechte Moment, um
das zur Sprache zu bringen.
    »Ach Gott, Myra, es ist die Oscar-Nacht«, sagte Milly zu ihrer
Schwester. »Wir sollten diese jungen Leute ihren Spaß haben lassen.«
    »Ja, wir müssen weiter«, sagte Emma.
    »Danke«, sagte Jack zu Mildred Ascheim.
    Milly musterte Emma noch einmal und wedelte Jack mit dem Handrücken
fort. Er rechnete damit, daß sie ihnen noch etwas nachrufen würde, eine letzte
Bosheit. (»Bis dann, kleiner [561]  Schwengel«, oder etwas in der Art.) Aber Milly
hielt ihre Zunge im Zaum.
    »Denk an meine Worte, Mildred: Auf Jack Burns warten noch jede Menge
Reibachszenen«, hörte Jack Myra Ascheim sagen.
    »Vielleicht«, sagte Milly. »Aber ich finde trotzdem, als Frau ist er
süßer.«
    »Kümmere dich nicht um die alten Schnepfen, Zuckerbär«, sagte Emma,
als sie wieder in ihrer Limousine saßen.
    Sie trieben in einem Meer von Limousinen. Jack hatte keine Ahnung,
zu welcher Party sie unterwegs waren, und es war ihm auch gleichgültig. Er
überließ stets Emma das Kommando.
    Jack hatte eigentlich erwartet, daß ihn nach einer Nacht wie
dieser jeder, den er je gekannt hatte, anrufen würde, auch wenn er den Oscar
nicht bekommen hatte. (Vielleicht gerade, weil er den Oscar nicht bekommen
hatte.) Doch nicht sehr viele meldeten sich. Caroline Wurtz rief Alice an.
»Bitte sagen Sie Jack, daß ich finde, er hätte ihn bekommen sollen«, sagte sie.
»Nicht zu fassen, daß ein Menschenfresser einen Oscar kriegt!«
    Als Jack und Emma wieder zu Hause in Santa Monica waren, war Mr.
Ramseys Nachricht die erste auf dem Anrufbeantworter. »Jack Burns!« rief er.
Mehr nicht. Das reichte.
    Bei Jacks alten Ringerkameraden dauerte es etwas länger, bis er von
ihnen hörte. Clum, der Trainer in Redding, schrieb: »Du hast es richtig
gemacht, Jack – bei einer Frau würden Blumenkohlohren gar nicht gut aussehen.«
    Auch Hudson und Shapiro schickten Jack Glückwünsche. Hudson schrieb,
er hoffe, daß Jack keine von diesen weiblichen Hormonen einnehme und daß sein
falscher Busen nicht durch Implantate, sondern mit Hilfe von BH und Einlagen zustande gekommen sei. Shapiro wollte
wissen, was aus der slawisch wirkenden Schönheit, deren Namen er vergessen
habe, geworden sei. Er habe gehofft, sie bei der Oscar-Verleihung zu sehen.
    [562]  Shapiro meinte natürlich Claudia. Von ihr hörte Jack nichts. Auch
nicht von Noah Rosen, aber damit hatte er ohnehin nicht gerechnet. Und nichts
von Michele Maher, die sang- und klanglos verschwunden war. Herman Castro
glaubte sich zu erinnern, daß sie Medizin studieren wollte, doch dann hatte er
sie aus den Augen verloren. Von Herman bekam Jack ebenfalls Post, allerdings
nur eine Karte. »Gut gemacht, Amigo – du hast es ins Finale geschafft!«
    Ja, so fühlte es sich an: Er hatte es ins Finale geschafft und
kampflos verloren. Niemand wußte, wann sich diese Gelegenheit noch einmal
bieten würde – vielleicht war das mit dem Oscar eine einmalige Sache.
    Sowohl Terminator 2 – Tag der Abrechnung als auch Die nackte Kanone 2 1/2 spielten wesentlich
mehr Geld ein als Nett und normal, doch dieser kleine
Film und die Oscar-Nominierung bewirkten, daß man Jack überall erkannte –
vielleicht als Frau ebenso wie als Mann, auf jeden Fall aber als Mann. (Jack
hatte sich bislang nur im Film als Frau ausgegeben.) Er war jetzt prominent.
    Emma schien entschlossen, ihn den größtmöglichen Nutzen

Weitere Kostenlose Bücher