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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Arbeitszimmers bedeckten. Alice bewunderte ihn
sehr. Er war ein untersetzter Mann mit Unterarmen wie Popeye, einem säuberlich
gepflegten Schnurrbart und langen Koteletten. Er hatte sandfarbenes Haar und
helle, glänzende Augen, und er war tatsächlich Matrose gewesen. Seine erste Tätowierung
hatte er in Amsterdam von Tatoeërer-Pieter bekommen.
    Doc bedauerte, daß er Alice nicht als Lehrling einstellen konnte,
aber es fiel ihm schon schwer genug, sich selbst über Wasser zu halten;
eigentlich suchte er einen Wohltäter, jemanden, der ihm finanziell unter die
Arme griff, damit er sein erstes Studio eröffnen konnte.
    Und was den Musikmann betraf – denn natürlich hatte William Burns
schließlich Doc Forest ausfindig gemacht –, so hatte er sich diesmal, wie Alice
Jack erzählte, entweder eine Aria [70]  quarta oder eine Tokkata von Pachelbel
stechen lassen. Sie erwähnte einen schwedischen Film, der ein bestimmtes Stück
von Pachelbel berühmt gemacht hatte. »Oder vielleicht war es auch von Mozart«,
fügte sie hinzu. Jack war sich nicht sicher, ob sie die Musik in dem
schwedischen Film oder die Tätowierung seines Vaters gemeint hatte, aber er war
auch sehr abgelenkt von einer Schlange. (Eine ganze Wand voller Flashs war
ausschließlich Schlangen, Seeschlangen und anderen Meerungeheuern gewidmet.)
    »Sie wissen wohl nicht, wohin William gegangen sein könnte?« sagte
Alice zu Doc Forest. Sie war im Grand Hotel nicht mehr sehr willkommen – oder
vielleicht war der Geschäftsführer des Hotels bei ihr nicht mehr sehr
willkommen.
    »Ich glaube, er ist in Oslo«, sagte Doc Forest.
    »Oslo!« rief Alice. In ihrer Stimme war mehr Verzweiflung als zuvor.
»In Oslo gibt es bestimmt keinen einzigen Tätowierer.«
    »Wenn es einen gibt, dann arbeitet er zu Hause, wie ich«, sagte Doc
Forest.
    »Oslo«, sagte Jacks Mutter noch einmal, diesmal ruhiger. Wie
Stockholm stand auch Oslo nicht auf ihrem Reiseplan.
    »Es gibt da eine Orgel«, fügte Doc Forest hinzu. »Eine alte – das
hat er jedenfalls gesagt.«
    Natürlich gab es in Oslo eine Orgel! Und wenn es irgend jemanden
gab, der – gut oder schlecht – tätowierte, und sei es in seiner Wohnung, würde
William ihn ausfindig machen.
    »Hat er gesagt, in welcher Kirche?« fragte Alice.
    »Er hat nur von der Orgel gesprochen. Er hat gesagt, daß sie
einhundertzwei Register hat«, antwortete Doc Forest.
    »Na, die kann ja nicht so schwer zu finden sein«, sagte Alice mehr
zu sich selbst als zu Doc oder Jack.
    An der Wand voller Flashs begann sich ein Thema abzuzeichnen. Der
Junge konnte es beinahe erkennen: Es hatte irgend etwas mit Schlangen zu tun,
die sich um Schwerter wanden.
    [71]  »Sie sollten im Bristol absteigen«, sagte Torsten Lindberg. »Sie
werden dort zwar nicht so viele Kunden bekommen wie im Grand Hotel, aber
wenigstens wird der Geschäftsführer nicht hinter Ihnen her sein.«
    Jahre später überlegte Jack, was Lindberg wohl mit »hinter Ihnen her
sein« gemeint haben könnte. Aber Alice dankte dem Buchhalter nur; natürlich
bedankte sie sich auch bei Doc Forest.
    Doc hob den Jungen mit seinen starken Armen hoch und flüsterte ihm
zu: »Komm wieder, wenn du älter bist. Vielleicht willst du dann eine
Tätowierung.«
    Jack hatte die Eingangshalle des Grand Hotel immer gefallen, und er
hatte sich gern von den Sirenen der Pendlerschiffe, die von den Schären kamen,
wecken lassen. Er war auch gern mit Agneta Nilsson, der bemerkenswerten Frau
Lindberg, Schlittschuh gelaufen. Wäre nur die Dunkelheit nicht gewesen, dann
wäre er am liebsten in Stockholm geblieben, aber er und seine Mutter mußten
weiterreisen.
    Sie fuhren mit dem Zug nach Göteborg und von dort mit dem Schiff
nach Oslo. Ein großer Teil der Reise war sicher schön, doch der Junge erinnerte
sich später nur an Dunkelheit und Kälte. Immerhin war es noch immer Januar, und
sie waren unterwegs nach Norden.
    Wegen all der Gerätschaften, die zum Tätowieren erforderlich
waren, reisten sie mit großem Gepäck. Bei ihrer Ankunft kam niemand auf den
Gedanken, sie könnten nur kurz bleiben. Der Empfangschef des Hotels Bristol
glaubte sicher, daß sie einen längeren Aufenthalt planten.
    »Es muß nicht Ihr teuerstes Zimmer sein«, sagte Alice zu ihm. »Aber
hübsch – und nicht zu beengt.«
    Der Empfangschef war aufmerksam und bemerkte, daß sie mit ihrem
Gepäck Hilfe brauchen würden. Er winkte einem Pagen und schüttelte Jack
freundlich die Hand. Dem Jungen [72]  schmerzten die Finger. Es war

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