Bis ich dich finde
ihr gefallen, und sie war so etwas wie
eine Mentorin für ihn gewesen. Er hatte bereits Leslie angerufen und ihr sein
Beileid ausgesprochen; nun wollte er wissen, was er mitbringen solle.
»Du brauchst nichts mitzubringen, Bruce«, antwortete Jack
ahnungslos. »Wir freuen uns einfach, wenn du kommst.«
»War das wieder Bruce Smuck?« fragte Mrs. Oastler, nachdem Jack
aufgelegt hatte.
»Er wollte wissen, ob er etwas mitbringen soll«, sagte Jack, dem
ganz allmählich die Tragweite von Bruce’ Angebot aufging.
»Was denn mitbringen?« fragte Leslie.
Bruce hatte wohl etwas zu trinken gemeint, dachte Jack. Bruce war
ein netter Kerl – er hatte einfach seine Hilfe angeboten. Offenbar rechnete
Bruce mit Unmengen von Leuten!
Jack rief Peewee auf dessen Handy an und stockte die ursprüngliche
Bestellung – je eine Kiste Weiß- und Rotwein – auf drei Kisten Weiß- und fünf
Kisten Rotwein auf. (Nach allem, was Leslie von Alice wußte, waren Tätowierer
mehrheitlich Rotweintrinker.)
»Sag Peewee, er soll auch in den Bierladen gehen«, sagte Mrs.
Oastler. »Die Biker trinken Unmengen Bier. Am besten lädt er den ganzen Wagen
voll Bier – bloß für alle Fälle.« Den Kopf in die Hände gestützt, saß Leslie am
Küchentisch und inhalierte den [694] Dampf aus ihrer Kaffeetasse; sie sah aus wie
jemand, der kürzlich das Rauchen aufgegeben hat und nach einer Zigarette giert.
Jack goß sich eine Tasse Kaffee ein, aber das Telefon klingelte, ehe
er den ersten Schluck nehmen konnte. »Oha«, sagte Mrs. Oastler.
Es war Samstagmorgen – Alice’ Abendandacht war auf halb sechs am
Nachmittag angesetzt –, doch Caroline Wurtz rief mit ihrem Handy aus der
Kapelle von St. Hilda an, wo sie, die Organistin und der Chor der Internatsschülerinnen
bereits probten. Als Jack den Anruf entgegennahm, konnte er die Orgel und den
Chor besser hören als Caroline.
»Jack, es hat sich eine Schwierigkeit ergeben – in geistlicher
Hinsicht«, flüsterte Miss Wurtz. Sie hörte sich an, als läge sie mit ihm in
Emmas Bett – einer von Jacks immer wiederkehrenden Träumen – und seine Mutter
befände sich in Hörweite am anderen Ende des Flurs.
»Was für eine Schwierigkeit?« flüsterte Jack zurück.
»Reverend Parker – unser Kaplan, Jack – möchte mit der Gemeinde das
Glaubensbekenntnis sprechen.«
»Mom wollte keine Gebete, Caroline.«
»Ich weiß«, flüsterte sie. »Das habe ich ihm auch gesagt.«
»Vielleicht sollte ich es ihm sagen«, meinte Jack. Er war Reverend
Parker nur einmal begegnet. Parker war ein junger Schwachkopf, der sich bei der
Trauerfeier für Emma ausgeschlossen gefühlt hatte; daher drängte er sich nun
bei der für Alice auf.
»Ich glaube, ich kann mit ihm verhandeln, Jack«, flüsterte Miss
Wurtz. Mittlerweile klang die Orgel im Hintergrund schwächer – die Mädchenstimmen
des Chors wurden immer undeutlicher. Die Wurtz mußte sich mit ihrem Handy aus
der Kapelle geschlichen haben; Jack konnte das leise Quietschen ihrer Schuhe
auf dem Linoleum des Flurs hören.
»Was für Bedingungen könnten Sie denn mit ihm aushandeln?« fragte
er.
[695] »Da er ganz offensichtlich irgend etwas mit uns sprechen will,
soll er mit der Gemeinde den Dreiundzwanzigsten Psalm sprechen«, sagte Caroline
etwas lauter.
»Mom wollte, daß niemand irgend etwas sagt. Sind denn Psalmen nicht
auch so etwas wie Gebete?«
»Reverend Parker ist der Kaplan, Jack.«
»Der Dreiundzwanzigste Psalm gefällt mir jedenfalls besser als das
Glaubensbekenntnis«, räumte Jack ein.
»Es scheint noch eine kleine Schwierigkeit zu geben«, fuhr Miss
Wurtz fort. Nun hörte Jack die Orgel und den Chor überhaupt nicht mehr.
Caroline war anscheinend den ganzen Flur entlang bis zum Hauptportal gegangen,
doch er hatte erneut Mühe, sie zu verstehen; diesmal waren es weder die Orgel
noch der Mädchenchor, die die Störung verursachten. »Um Himmels willen!« rief
die Wurtz über den ohrenbetäubenden Krach der knatternden Maschinen hinweg. (Es
hatte sich noch eine Schwierigkeit ergeben – und zwar, wie Jack vermutete,
keine kleine.)
»Was ist das?« fragte er, obwohl er es schon wußte. Bei den
Tätowierertagungen, hatte seine Mutter ihm erzählt, kamen die Biker jedesmal
zeitig; vielleicht wollten sie sichergehen, daß sie einen guten Parkplatz
bekamen.
»Meine Güte, es ist eine Motorradbande !«
rief Caroline so laut, daß Mrs. Oastler sie hören konnte. »Was um alles in der
Welt hat eine Motorradbande in einer Mädchenschule zu
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