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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Stolz. »Ingrids Ehe war auch kein sonderlicher
Erfolg.«
    Jack mochte ihn nicht; Brevik wirkte selbstgefällig, ja ein wenig
grausam. »Was ist denn mit Ihrer Ehe?« fragte ihn
Jack. »Oder haben Sie nicht geheiratet?«
    Andreas zuckte die Achseln. »Ich bin Organist geworden«, sagte er,
als wäre das alles, worauf es ankam. »Ich bin Ihrer [755]  Mutter dankbar, wenn Sie
es genau wissen wollen. Sie hat mich jedenfalls davor bewahrt, zu einer Zeit zu
heiraten, als ich dafür noch viel zu jung war. Ich hätte ein zeitraubendes
Privatleben geführt, dabei mußte ich mich voll und ganz auf meine Musik
konzentrieren. Was Ingrid angeht, hätte sie höchstwahrscheinlich das
Privatleben der Karriere vorgezogen – ob sie nun mich oder jemand anderen
heiratete. Und ich glaube nicht, daß ihr Privatleben besser oder anders
funktioniert hätte, wenn sie mit mir verheiratet gewesen wäre. Bei Ingrid hätte
es eben einfach nicht funktioniert – hat es ja auch nicht.«
    Wie manch andere erfolgreiche Menschen, die Jack kannte, wußte
Andreas Breivik auf alles eine Antwort. Je mehr Breivik sagte, desto größer
wurde Jacks Wunsch, mit Ingrid Moe zu reden. »Eins noch«, sagte Jack. »Ich
erinnere mich an eine Putzfrau in der Kirche – eine ältere Frau, redegewandt,
herrisch –«
    »Das ist unmöglich«, sagte Breivik. »Putzfrauen sind nicht
redegewandt. Wollen Sie etwa behaupten, daß sie englisch gesprochen hat?«
    »Ja, das hat sie«, erwiderte Jack. »Ihr
Englisch war ziemlich gut.«
    »Das kann keine Putzfrau gewesen sein«, sagte Andreas gereizt.
»Erinnern Sie sich an ihren Namen?«
    »Sie hatte einen Mop – sie hat sich daraufgestützt, ihn zum Zeigen
benutzt, damit herumgefuchtelt«, fuhr Jack fort. »Sie hieß Else-Marie Lothe.«
    Breivik lachte verächtlich. »Das war Ingrids Mutter! Und ob sie
herrisch war! Das haben Sie ganz richtig erkannt. Aber so redegewandt war Else-Marie nicht; ihr Englisch war nur einigermaßen.«
    »Ihr Nachname war Lothe. Sie hatte einen Mop«, wiederholte Jack.
    »Sie war von Ingrids Vater geschieden. Sie hatte wieder geheiratet«,
sagte Andreas. »Sie hatte einen Stock, keinen Mop.
Sie [756]  hatte sich mal beim Aussteigen aus der Straßenbahn direkt vor der
Kathedrale den Knöchel gebrochen. Sie ist mit dem Absatz in den Schienen
hängengeblieben. Der Knöchel ist nie richtig geheilt – daher der Stock.«
    »Sie hatte trockene Hände, wie eine Putzfrau«, wandte Jack wenig
überzeugend ein.
    »Sie war Töpferin, der künstlerische Typ. Töpfer haben trockene
Hände«, sagte Breivik.
    Selbstredend hatte Else-Marie Lothe Jacks Mutter gehaßt; am Ende
hatte sie auch Andreas Breivik gehaßt. (Wie man dazu kommen konnte, war für
Jack ohne weiteres nachvollziehbar.)
    Er fragte Breivik nach Ingrids Ehenamen und ihrer Adresse.
    Unter den gegebenen Umständen wußte Andreas Breivik, wie sich
herausstellte, mehr über Ingrid Moe, als Jack erwartet hatte. Sie hieß jetzt
Ingrid Amundsen. »Nach ihrer Scheidung«, sagte Breivik, »ist sie in eine im
zweiten Stock gelegene Wohnung in der Theresesgate gezogen – auf der linken
Straßenseite, mit Blick nach Norden. Von dort kommen Sie zu Fuß in
fünfundzwanzig Minuten ins Zentrum von Oslo.« Breivik sagte das mit der
Leidenschaftslosigkeit eines Menschen, der den erwähnten Fußmarsch mit der Uhr
gestoppt hat, und zwar mehr als einmal. »Die blaue Straßenbahnlinie führt dort
vorbei«, fuhr Andreas so langsam fort, als wartete er auf die Straßenbahn.
»Seit das neue Rikshospitalet gebaut worden ist, führen drei Straßenbahnlinien
dort vorbei. Zunächst hat Ingrid der Lärm vielleicht gestört, aber inzwischen
hört sie ihn wahrscheinlich gar nicht mehr.«
    Ingrid Amundsen war Klavierlehrerin und gab in ihrer Wohnung
Privatunterricht.
    »Die Theresesgate ist eine ganz hübsche Straße«, sagte Andreas und
schloß die Augen, als könnte er sie im Schlaf entlanggehen – was er natürlich
getan hatte. »Am Südende, zum Bislett-Stadion hin – von Ingrids Wohnung sind es
bis dorthin nur fünf Minuten zu Fuß –, gibt es ein paar Cafés, einen
anständigen [757]  Buchladen, sogar ein Antiquariat und das übliche 7-Eleven. Näher
bei ihrer Wohnung, auf ihrer Straßenseite, gibt es ein großes
Lebensmittelgeschäft namens Rimi. Außerdem gibt es bei der Haltestelle
Stensgate ein schönes Obst- und Gemüsegeschäft. Es wird von Ausländern
betrieben – Türken, glaube ich. Dort kann man importierte Spezialitäten kaufen
– eingelegte Oliven,

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