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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Jack. »›Offenbar magst du ja
Prostituierte so sehr, daß du für sie spielst, William‹, hat deine Mutter
gesagt. ›Und wenn sich Jack nun erinnert, wie ich zur Hure geworden bin, weil
du aufgehört hast, für mich zu spielen?‹«
    Nico erzählte Jack, daß William aus rein religiösen Gründen für die
Prostituierten Orgel gespielt habe. »Er war ein fanatischer Christ, allerdings
ein Fanatiker von der guten Sorte«, erklärte Nico. William habe darauf
bestanden, daß für die Prostituierten ein Orgelgottesdienst stattfand – und
zwar ganz früh am Morgen, wenn viele von ihnen zu arbeiten aufhörten. William
wollte ihnen vermitteln, daß die Oude Kerk zu dieser frühen Stunde ihnen
gehörte und daß er für sie spielte. Er wollte, daß sie zur Kirche kamen und
sich von der Musik anrühren ließen; er wollte, daß sie beteten. (William wollte
natürlich, daß sie aufhörten, Prostituierte zu sein, aber die Musik war der
einzige Bekehrungsversuch, den er je bei ihnen unternahm.)
    Nicht jeder in der Oude Kerk war damit einverstanden, daß William
für die Prostituierten Orgel spielte, doch er brachte die meisten Kritiker
dadurch zum Schweigen, daß er den Eifer des Heiligen Ignatius von Loyola als
Beispiel anführte. Er sei in Amsterdam einem größeren Übel begegnet, als es der
Heilige Ignatius auf den Straßen von Rom angetroffen habe. Ignatius habe unter
reichen Leuten Geld gesammelt und ein Asyl für gefallene Frauen gegründet. In
Rom habe der Heilige angekündigt, er würde sein Leben opfern, wenn er damit die
Sünden einer einzigen Prostituierten in einer einzigen Nacht verhindern könne.
    [817]  »Natürlich haben einige von den Kirchenoberen Bedenken geäußert –
schließlich war Loyola Katholik«, sagte Nico Oudejans. »Für protestantische
Ohren klang das, als stünde dein Vater Rom gefährlich nahe. Aber William sagte:
›Ich versuche doch gar nicht, die Sünden einer einzigen Prostituierten zu
verhindern‹ – obwohl er das auf seine Weise schon getan hat. ›Ich habe nur
versucht, dafür zu sorgen, daß es diesen Frauen ein bißchen bessergeht. Und
wenn einige davon in der Musik den Lärm unseres Herrn hören, kann das ja auch
nicht verkehrt sein.‹«
    »Den Lärm unseres Herrn?« fragte Jack.
    »So hat William es genannt. Für ihn war man im Herzen gläubig, wenn
man in der Orgel den Lärm des Herrn hört.«
    »Hat es funktioniert?« fragte Jack. »Sind irgendwelche Prostituierte
bekehrt worden?«
    »Einige dieser Frauen hat er zu Gläubigen gemacht«, sagte Nico,
»aber ich glaube, keine von ihnen hat aufgehört, als Prostituierte zu arbeiten
– und wenn, dann erst lange nachdem deine Mutter damit angefangen hatte. Einige
der Prostituierten haben deinen Vater nicht gemocht. Sie glaubten, er wäre
einer von diesen christlichen Weltverbesserern, der sie ablehnte und seine
Ablehnung auf etwas sonderbare Art zeigte. Aber der größere Teil hat deine
Mutter gehaßt. Niemals hätten sie ihre eigenen Kinder auch nur in die Nähe des
Rotlichtviertels gelassen, aber deine Mutter hat dich jeden Tag und jede Nacht
mittendurch geschleppt – bloß um deinen Vater verrückt zu machen.«
    »Du hast ihr gesagt, du sorgst dafür, daß sie ausgewiesen wird?«
fragte Jack. Erneut kam ein Polizist in das Büro und legte Gulden auf den
Tisch.
    »Damals wurden ständig Prostituierte ausgewiesen, die keine
holländischen Staatsbürgerinnen waren«, sagte Nico. »Aber dein Vater wollte
nicht, daß sie ausgewiesen wird. Er wollte dich nicht verlieren, Jack. Zugleich
konnte er es nicht ertragen, dich in diesem Milieu zu sehen.«
    [818]  Jack fragte nach Frans Donker, dem Orgelstimmer. Nico sagte,
Donker habe alles, was William getan habe, nachgeahmt oder nachzuahmen
versucht. Donker habe sich sein halbes Leben lang bemüht, Orgel zu spielen,
anstatt Orgeln zu stimmen. »Und wenn dein Vater mal ausschlafen mußte – wenn er
zu müde war, um für die Damen auf dem Oudekerksplein zu spielen –, spielte
Frans für sie. Ich glaube, Frans Donker war ein ziemlich schlichtes Gemüt;
vielleicht hat ihn als Baby mal jemand auf den Kopf fallen lassen«, spekulierte
der Polizist. »Aber dein Vater hat Donker behandelt wie ein hilfloses
Schoßhündchen. Er hat ihn verhätschelt, er hat ihn bemitleidet, er war ihm
gegenüber immer nachsichtig. Nicht daß Donker es verdient gehabt hätte – der
Junge wußte ja gar nicht, was er tat.«
    »Er hat sich den Hintern gepudert«, erinnerte Jack sich laut.
    »Donker hat sich sogar

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