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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ein Bonbon aus und steckte das Einwickelpapier
säuberlich in die Tasche, ehe er sich das Bonbon in den Mund schob.
    Die in Druckschrift auf den Registern stehenden Bezeichnungen sagten
Jack nichts. Diese Welt entzog sich seinem Verständnis.
     
    [821]   BAARPIJP
8 VOET
 
OCTAAF
4 VOET
 
NACHTHOORN
2 VOET
 
TREMULANT POSITIEF
    Jack gab sich alle Mühe, in der Musik den Lärm des Herrn zu
hören. Doch selbst als Vogel das »Sanctus« und das »Agnus Dei« spielte, blieb
der Herr für Jack stumm.
    Willem Vogel war Jacks Vater nie begegnet. Einmal, Vogel war recht
spät mit Freunden essen gewesen, hatte einer aus der Runde vorgeschlagen, zur
Oude Kerk zu gehen und sich William Burns’ Konzert für die gefallenen Frauen
anzuhören, aber Vogel war müde gewesen und hatte den Vorschlag abgelehnt. »Ich
bedaure, daß ich ihn nie habe spielen hören«, sagte der Organist zu Jack.
»Manche sagen, er habe großartig gespielt, andere sagen, er sei zu sehr
Entertainer gewesen, als daß man ihn als Musiker habe ernst nehmen können.«
    Am nächsten Morgen ging Jack mit Nico Oudejans in ein Café, wo
sie sich mit Saskia zum Kaffee trafen. Saskia war schon seit über zehn Jahren
keine Prostituierte mehr. Ihr Rückzug aus dem Gewerbe habe ihre
Gemütsverfassung nicht verbessert, hatte Nico ihn vorgewarnt. Sie hatte eine
Umschulung zur Kosmetikerin gemacht und Haareschneiden, vielleicht auch
Schminken und Maniküre gelernt, und sie arbeitete in einem Kosmetiksalon am
Rokin, einer breiten, belebten Straße mit vielen Geschäften mittlerer
Preislage.
    [822]  Saskia hatte nicht gewollt, daß Nico und Jack zu dem Kosmetiksalon
kamen. Angesichts ihres früheren Berufs war ihr selbst ein freundschaftlicher
Besuch der Polizei unwillkommen. Und Saskia befürchtete, daß – ausgerechnet in
einem Schönheitssalon – die Damen zuviel Wirbel darum machen würden, daß sie
Jack Burns kannte.
    Als Jack sie kommen sah, war sein erster Gedanke, daß sie mehr als
einen Berufswechsel hinter sich hatte. Sie hatte sich komplett neu erfunden.
Verschwunden war die Kollektion blinkender Armreifen, die die Verbrennungsnarbe
an ihrem Unterarm kaschiert hatte. Mittlerweile Mitte Fünfzig, war sie noch
immer dünn, aber das Abgezehrte war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie zeigte
keine Spur von dem aufreizenden Verhalten ihres früheren Gewerbes. Ihr Haar war
so kurz geschnitten wie bei einem Jungen. Über einem weißen Rollkragenpullover
trug sie ein Männerjackett aus Tweed. Ihre Schlabberjeans waren wenig kleidsam;
die knöchelhohen Stiefel mit den flachen Absätzen verliehen ihrem Gang etwas
Männliches.
    Jack stand auf und gab ihr einen Kuß, aber sie blieb ihm gegenüber
ein wenig kühl – nicht unfreundlich, aber auch nicht herzlich. Zu Nico war sie
nur geringfügig freundlicher. In ihrer übergroßen Handtasche trug sie einen
Yorkshire-Terrier. Der Hund und Nico schienen alte Freunde zu sein; das Tier
hüpfte aus der Tasche und machte es sich auf Nicos Schoß gemütlich, während der
Kellner Saskias Bestellung entgegennahm.
    Jack rechnete halb damit, daß sie ein Schinken-Käse-Croissant
bestellen würde, aber sie bat statt dessen um Kaffee. Es überraschte ihn nicht,
daß sie sich die Zähne hatte richten lassen. Warum hätte ihre Neuerfindung
nicht auch neue Zähne einschließen sollen?
    »Ich weiß, warum du hier bist, Jack, und es interessiert mich
nicht«, begann Saskia. »Ich bin damit nicht einverstanden.« Jack blieb stumm.
»Alle haben für deinen Vater Partei ergriffen. Aber [823]  ich hasse Männer, und
deine Mutter habe ich gemocht. Außerdem habe ich damals nicht im Viertel
gearbeitet, um in den Pausen in die Kirche zu rennen und zuzuhören, wie er auf
der Orgel herumschmalzt.«
    »Ich weiß noch, wie wir dir immer Schinken-Käse-Croissants gebracht
haben«, sagte Jack. (Er versuchte, sie zu beruhigen, weil sie ziemlich wütend
klang.)
    »Dein Vater hing dort herum – dort hat deine Mutter dich ihm
gezeigt, wenn sie diese verdammten Schinken-Käse-Croissants gekauft hat. Ich
glaube, ich würde auf der Stelle tot umfallen, wenn ich noch mal eins von den
Dingern essen müßte.«
    »Du hast dich mit Els als Babysitterin für mich abgewechselt?«
fragte Jack sie.
    »Deine Mutter hat Els und mir geholfen, die Miete für unsere Zimmer
aufzubringen«, antwortete sie. »Alice hat einen Teil von Els’ und meiner Miete
bezahlt. Wir drei haben uns zwei Zimmer geteilt. Betriebswirtschaftlich gesehen
war das sinnvoll.«
    »Und meine

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