Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
diesen Fotos, die eigens aus Anlaß
seiner Reise gemacht wurden, wirkte Margaret wie von der Angst gepackt, er
werde nie mehr zu ihr zurückkommen. Und oft wachte Jack nachts auf und stellte
fest, daß Margaret ihn anstarrte: Es war, als versuchte sie, während er
schlief, in sein Bewußtsein einzudringen und ihn mittels Gehirnwäsche davon
abzuhalten, sie je zu verlassen.
    [940]  Julians bekümmerter Blick folgte Jack, als wäre der Junge ein
Hund, den Jack vergessen hatte zu füttern. Und Margaret sagte mindestens einmal
am Tag zu Jack: »Ich weiß, du wirst mich verlassen, Jack. Versuch einfach,
nicht ausgerechnet dann wegzugehen, wenn ich mich zu verletzlich fühle, um
damit umgehen zu können, oder wenn es den armen Julian zu sehr mitnehmen
würde.«
    Jack war sechs Monate mit ihr zusammen. Sie kamen ihm vor wie sechs
Jahre, und Julian zu verlassen, tat ihm mehr weh als die Trennung von Margaret.
Als Jack ging, sah ihm der Junge nach, als wäre Jack sein Vater, der sich
davonmachte.
    »Wir setzen die natürliche Zuneigung von Kindern schrecklichen
Risiken aus«, sollte Jack eines Tages zu Dr. García sagen, doch sie beschwerte
sich darüber, daß er sich nur skizzenhaft zu diesen Beziehungen geäußert habe.
Oder hatte er etwa nur skizzenhafte Beziehungen gehabt?
    Noch Monate später – und dies, obwohl die Geräuschkulisse in seinem
Haus am Entrada Drive vorwiegend aus dem Verkehrslärm auf dem Pacific Coast
Highway bestand – hörte er, wenn er im Bett lag, den Ozean, so wie er ihn in
Margarets Haus in Malibu gehört hatte, während er darauf wartete, daß Julian
ins Schlafzimmer kam, um ihn und Margaret zu wecken. Jack vermißte die beiden
aufrichtig, aber sie hatten ihn vertrieben, und das praktisch von dem Moment
an, in dem er in ihr Leben getreten war. Nach Dr. Garcías Einschätzung waren
sie »noch bedürftiger« als Jack.
    »Ich bin nicht bedürftig!« entgegnete Jack indigniert.
    »Hmm«, sagte Dr. García. »Haben Sie sich schon einmal überlegt,
Jack, daß das, wonach Sie sich am meisten sehnen, eine wirkliche Beziehung und
ein normales Leben ist, daß Sie aber niemanden kennen, der normal oder wirklich
ist?«
    »Ja, das habe ich mir überlegt«, antwortete er.
    »Sie kommen jetzt schon seit fünf Jahren zu mir, dennoch [941]  kann ich
mich nicht entsinnen, daß Sie jemals eine politische Meinung geäußert hätten«,
sagte Dr. García. »Welche politischen Ansichten haben Sie?«
    »Im allgemeinen eher liberale als konservative«, sagte er.
    »Sie sind Demokrat?«
    »Ich gehe nicht wählen«, gab Jack zu. »Das habe ich noch nie getan.«
    »Das ist doch schon mal eine Aussage«, sagte Dr. García.
    »Vielleicht liegt es daran, daß ich als Kanadier angefangen habe und
dann Amerikaner geworden bin – dabei bin ich in Wirklichkeit weder das eine
noch das andere«, sagte er.
    »Hmm.«
    »Mir macht einfach meine Arbeit Spaß«, sagte Jack.
    »Sie machen nie Ferien?« fragte sie. »Die letzten Ferien, von denen
ich Sie habe reden hören, waren Schulferien.«
    »Wenn ein Schauspieler keinen Film dreht, macht er Ferien«, sagte
Jack.
    »Aber das stimmt nicht ganz, oder?« fragte Dr. García. »Sie lesen
ständig Drehbücher, nicht wahr? Bestimmt denken Sie viel über neue Rollen nach,
auch wenn Sie sie irgendwann ablehnen. Und Sie lesen in letzter Zeit viele
Romane. Und denken Sie nicht zumindest über eine neue Adaption nach, seit man
Ihnen ein Drehbuch zugeschrieben hat? Oder vielleicht sogar über ein
Originaldrehbuch?«
    Jack blieb stumm: Es kam ihm so vor, als arbeitete er ständig, auch
wenn er nicht arbeitete.
    »Sie gehen ins Fitness-Studio, Sie achten darauf, was Sie essen, Sie
trinken keinen Alkohol«, sagte Dr. García. »Aber was machen Sie, wenn Sie
einfach entspannen? Oder sind Sie nie entspannt?«
    »Ich habe Sex«, sagte er.
    »Die Art von Sex, die Sie haben, ist nicht entspannend«, sagte ihm
Dr. García.
    [942]  »Ich bin mit meinen Freunden zusammen«, sagte Jack.
    »Was denn für Freunde? Emma ist tot, Jack.«
    »Ich habe auch noch andere Freunde«, protestierte er.
    »Sie haben keine Freunde«, sagte Dr. García. »Durch Ihren Beruf
haben Sie Bekannte. Mit manchen verkehren Sie freundschaftlich. Aber wer sind
Ihre Freunde?«
    Jack nannte peinlicherweise Herman Castro, der in Exeter im
Schwergewicht gekämpft hatte und mittlerweile Arzt in El Paso war. Herman
schrieb immer »Hallo, amigo« auf seine Weihnachtskarten.
    »Das Wort amigo macht ihn noch nicht zu
Ihrem

Weitere Kostenlose Bücher