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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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dir schreiben, das weiß ich. Allermindestens einen
mordsmäßigen Dankesbrief. Dann stehst du für den Rest deines Lebens auf ihrer
Adressenliste. Wahrscheinlich werden sie dich jedes Jahr um Geld bitten. Nicht
noch mal um hunderttausend oder so, aber um irgendwas werden sie dich anhauen.
Ich finde, das hätten sie schon längst machen sollen.«
    Auf den Bildern in dem Prospekt des Nuts & Bolts Playhouse trug
Claudia ein zeltartiges Kleid und wirkte üppiger als Kathy Bates zu der Zeit,
als sie mit Jack Nicholson in welchem Film auch immer in die heiße Wanne
gestiegen war. Ihr Mann war ein hochgewachsener, bärtiger Kerl, der wirkte, als
würde er immer als betrogener König besetzt. Die jüngeren Töchter waren ebenso
kräftig gebaut und hübsch wie Sally.
    Als Jack beim Georgian Hotel in der Ocean Avenue anhielt, küßte
Sally ihn auf die Stirn. »Du scheinst ein guter Kerl zu sein, Jack, bloß
ziemlich traurig«, sagte sie.
    »Bitte bestelle deiner Mutter liebe Grüße von mir«, sagte er.
    »Danke für das Geld, Jack. Das hilft enorm – ich meine es ernst.«
    »Inwiefern war das jetzt eigentlich eine Heimsuchung?« fragte er
sie. »Ich meine, du hast mich geschröpft, und zwar ziemlich geschickt, das gebe
ich gerne zu, Sally. Aber wie genau hast du mich heimgesucht?«
    »Das wirst du schon sehen«, sagte Sally. »Die Sache wird dich
heimsuchen – und ich spreche nicht von dem Geld.«
    [985]  Er fuhr zurück zum Entrada Drive, also gewissermaßen zum
Schauplatz des Verbrechens. Denn es war ein Verbrechen, und zwar nicht nur
gemäß dem Strafgesetzbuch Kaliforniens. Auch Jack Burns empfand es sehr stark
als Verbrechen. Er hatte mit einer Fünfzehnjährigen geschlafen, und es hatte
ihn nur hunderttausend Dollar gekostet.
    Er blieb noch lange auf, las jedes Wort des Prospekts, den Sally ihm
dagelassen hatte, und betrachtete immer wieder sämtliche Bilder. Das Nuts &
Bolts Playhouse hatte sich dem edlen Gedanken des Theaters als Dienst an der
Öffentlichkeit verschrieben. Ein Nachbar, von Beruf Elektriker, hatte kostenlos
die neue Bühnenbeleuchtung installiert. Ein paar ortsansässige Zimmerleute
hatten, ebenfalls umsonst, die Bühnenbilder dreier Shakespeare-Inszenierungen
gebaut. In der kleinen Stadt im Süden Vermonts hatten praktisch alle irgend
etwas zu dem Theater beigetragen.
    Die Schulkinder der Region führten in dem Theater ihre Stücke auf,
die Damen eines Buchclubs inszenierten Adaptionen von Szenen aus ihren
Lieblingsromanen. Im Januar probte dort eine New Yorker Operntruppe, ehe sie
auf Tournee ging. Einige entsprechend begabte Kinder des Ortes bekamen von
professionellen Opernsängern Gesangsunterricht. Es gab Dichterlesungen und
Konzerte. Das Sommerprogramm kam zwar dem Bedürfnis der Touristen nach populärer
Unterhaltung entgegen, aber es gehörten auch immer mindestens zwei »ernsthafte«
Stücke dazu. Einige der Gaststars der Sommerproduktionen kannte Jack: Es waren
Schauspielerinnen und Schauspieler aus New York.
    Der Prospekt enthielt zwei Bilder von Claudia: Auf beiden sah sie
strahlend, vergnügt und dick aus. Ihre Töcher waren höchst fotogen –
selbstbewußte Mädchen, denen man überzeugendes Auftreten beigebracht hatte. Auf
Sally, die ihrem Alter sowohl an Gelassenheit als auch an Entschlossenheit weit
voraus war, konnte Claudia jedenfalls stolz sein. Ob sie und ihr Mann [986]  wußten, daß Sally ein Vorbild an Selbstsicherheit und eigenständigem Denken
war? Wahrscheinlich. Ob sie auch wußten, daß Sally (im Dienst ihrer Familie)
sexuell so aktiv war? Wahrscheinlich nicht.
    Claudia hatte das Theater zur Familienangelegenheit gemacht, und das
vielleicht erfolgreicher, als ihr bewußt war. Doch ganz gleich, wie sehr sich
Jack bemühte, die Finanzierung zu verstehen, er begriff einfach nicht, wie eine
sogenannte gemeinnützige Organisation funktionierte. (Erneut ließen ihn seine
mathematischen Fähigkeiten im Stich.) Er wußte nur, daß er der Nuts & Bolts
Foundation für den Rest seines Lebens Schecks ausstellen würde. Regelmäßige
Spenden von hunderttausend Dollar oder mehr schienen ihm ein geringer Preis für
das, was er getan hatte.
    Er wollte Dr. García anrufen, aber mittlerweile war es zwei oder
drei Uhr morgens, und er wußte, was sie sagen würde. »Erzählen Sie mir alles in
chronologischer Reihenfolge, Jack. Ich bin kein Priester. Ich nehme keine
Beichte ab.« Was sie meinte, war, daß sie keine Absolution erteilte: Dafür, daß
er mit Claudias Tochter geschlafen

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