Bis ich dich finde
ihnen konnte Jack sie immer
noch sehen, als er in Richtung Gate ging. Er drehte sich immer wieder zu ihr um
und blieb stehen, als er sah, daß sie endlich zu ihm herschaute. Sie zeigte auf
ihr Herz, und ihre Lippen bewegten sich langsam, ohne daß sie ein Wort von sich
gab.
»Ich habe einen Bruder, und ich liebe ihn«, sagte Jacks Schwester, obwohl
er keine Silbe hörte.
»Ich habe eine Schwester, und ich liebe sie«, antwortete er ihr,
ohne einen Laut von sich zu geben.
Andere Leute schoben sich zwischen sie. Jack hatte Heather
vorübergehend aus den Augen verloren, als zwei junge Frauen auf ihn zutraten
und die eine, eine Schwarze mit einem diamantenen Nasenstecker, sagte: »Sie
sind nicht Jack Burns, oder? Sie können es einfach nicht sein, stimmt’s?«
»Jede Wette, daß er’s nicht ist«, sagte ihre Begleiterin, eine Weiße
in einem ärmellosen Oberteil mit einem Sonnenbrand auf den Schultern. Auch ihre
Nase schälte sich ein bißchen.
Sie waren Amerikanerinnen, Collegestudentinnen auf dem Heimweg von
einer Sommerreise nach Europa – das jedenfalls vermutete Jack. Als er nach
seiner Schwester schaute, war sie verschwunden.
»Doch, ich bin Jack Burns«, sagte er zu den beiden. (Er hätte es
nicht erklären können, aber er hatte zum erstenmal in seinem Leben das Gefühl,
wirklich Jack Burns zu sein!). »Ihr habt recht – ich bin es. Ich bin
tatsächlich Jack Burns.«
Aus irgendeinem Grund freute er sich darüber, daß sie ihn erkannt
hatten. Doch in ihren Gesichtern malte sich [1039] Ungläubigkeit. Sie verloren
ebenso plötzlich das Interesse an ihm, wie sie zunächst neugierig auf ihn
gewesen waren.
»Netter Versuch«, sagte die Weiße sarkastisch. »Aber Sie können
keinem weismachen, Sie wären Jack Burns – auf die Art nicht.«
»Auf welche Art nicht?« fragte er.
»Wenn Sie sich so normal geben«, sagte die junge Weiße.
»Wenn Sie ein Gesicht machen, als wären Sie glücklich oder so«, sagte
die junge Schwarze.
»Aber ich bin Jack Burns«, sagte er wenig überzeugend.
»Glauben Sie mir – Sie machen das einfach miserabel«, sagte die
Weiße. »Und Sie sind zu alt, um damit durchzukommen.«
»Seit wann ist Jack Burns so aufrichtig?« fragte ihn die Schwarze.
»Sagen Sie mal was Schräges«, sagte die Weiße.
»Sagen Sie mal einen Satz von Jack Burns«, forderte die Schwarze ihn
heraus.
Wo war Heather, wenn er sie brauchte?, dachte Jack. Wo war sein
Vater, der Jack Burns angeblich aus dem Effeff konnte?
Die beiden Frauen entfernten sich. Jack zog sich das T-Shirt aus dem
Hosenbund und hielt sich den Saum vor die Brust, als hielte er am Kleiderbügel
ein Kleid hoch. »Mannomann, ich wette, an dir sieht das klasse aus«, sagte er,
ohne auch nur im entferntesten dem Dieb zu ähneln, den Jessica Lee beim
Durchwühlen ihres Kleiderschranks erwischt.
»Geben Sie’s auf!« rief die junge Weiße ihm zu.
»Wissen Sie was?« sagte die junge Schwarze, deren Nasenstecker im
grellen Licht des Flughafens funkelte. »Wenn der echte Jack Burns Sie je sehen
würde, würde er kein zweites Mal hingucken!«
»Den Job wird man gern los!« rief Jack ihnen nach, aber sie gingen
weiter. Er war als Melody so schlecht, daß sogar Wild Bill Vanvleck ihn die
Szene hätte wiederholen lassen.
[1040] Es lag daran, daß er nicht schauspielerte. Es war, als hätte er
es verlernt. Er kannte zwar noch seinen Text, agierte aber völlig untypisch. Er
hatte eine Schwester, und er liebte sie. Sie hatte gesagt, daß sie ihn
ebenfalls liebte. Jack hatte mit Schauspielern aufgehört. Er war einfach nur
Jack Burns – endlich der wirkliche Jack Burns.
[1041] 38
Zürich
Wenn der letzte, bislang noch frei gebliebene Hautbereich
tätowiert und der Körper gleichsam zum vollgeschriebenen Notizbuch geworden
ist, reagieren Ganzkörpertätowierte vollkommen unterschiedlich.
Alice hatte behauptet, einige Fullbodys fingen einfach an, sich ihre
alten Tätowierungen übertätowieren zu lassen. Doch wenn man das immer wieder
tut, wird die Haut irgendwann schwarz wie die Nacht, und die Bilder werden
unkenntlich. Jack hatte einmal einen Kunden seiner Mutter gesehen, dessen Arme
von den Handgelenken bis zu den Achselhöhlen durchgehend schwarz gewesen waren;
er hatte ausgesehen wie verbrannt. Bei einer weniger radikalen Vorgehensweise
wirkt zweimal tätowierte Haut so, als wäre sie mit geschwungenen abstrakten
Mustern bedeckt, als wäre der Körper in einen hautengen Paisley-Schal gehüllt.
Doch für andere Fullbodys kommt
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