Bis ich dich finde
sagte Jack.
Heather umarmte ihn. »Also, eigentlich war es das für mich auch –
eine sehr große Sache sogar.«
Während Jack duschte, ging Heather mit seinem Flugticket zum
Empfang. Sie buchte ihm einen Flug nach Zürich via Amsterdam und den Rückflug
von Zürich nach L.A.
Außerdem vereinbarte sie für den Spätnachmittag ein erstes Treffen
mit einem Ärzteteam im Sanatorium Kilchberg. Insgesamt gab es dort fünf Ärzte
und einen Chefarzt. Sie gab Jack einen Prospekt von den Gebäuden und dem
Gelände der Klinik, von der aus man auf den Zürichsee blickte. Kilchberg lag am
Westufer – dem linken Ufer, wie man in Zürich sagte – und war [1036] vom
Stadtzentrum aus in ungefähr fünfzehn Minuten mit dem Auto zu erreichen.
Jack würde also in die Schweiz abreisen, sobald sie mit dem
Frühstück fertig waren. Heather hatte ihm ein Zimmer im Hotel zum Storchen in
Zürich reserviert.
»Das Baur au Lac gefällt dir vielleicht besser«, sagte sie, »aber
das Storchen ist nett und liegt außerdem am Fluß.«
»Es ist bestimmt alles bestens«, sagte er.
»Die Ärzte sind ausgezeichnet – ich denke, sie werden dir
sympathisch sein«, sagte Heather. Sie hatte aufgehört, ihn anzusehen. Sie saßen
mit ein paar müden Touristen und Familien mit kleinen Kindern im Frühstücksraum
des Balmoral. Jack spürte, daß Heather wieder so nervös war wie sie beide bei
ihrer ersten Begegnung. Er griff nach ihrer Hand, aber sie entzog sie ihm.
»Die Leute werden glauben, wir schlafen miteinander – ich meine richtig «, sagte sie. »Sich mit dir in der Öffentlichkeit zu
zeigen, ist ein bißchen gewöhnungsbedürftig, weißt du.«
»Du wirst dich schon daran gewöhnen«, sagte er.
»Paß auf, daß dir nichts passiert – mach keine Dummheiten«, stieß
Heather hervor.
»Kannst du Lippen lesen?«
»Jack, bitte mach keine Dummheiten«, sagte Heather. Sie wirkte
verärgert, nicht in der Stimmung für Spielchen.
Jack bewegte die Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben, und
formte die Worte so sorgfältig und deutlich, wie er konnte: »Ich habe eine
Schwester, und ich liebe sie.«.
»Bei dir muß immer alles hopplahopp gehen«, sagte Heather erneut,
aber Jack merkte, daß sie ihn verstanden hatte. »Wir sollten jetzt zum
Flughafen fahren«, verkündete sie nach einem Blick auf ihre Uhr.
Im Taxi wirkte sie abwesend, gedankenverloren. Wieder sah sie ihn
nicht an, als sie sagte: »Wenn du ihn gesehen hast, ich [1037] meine, wenn ihr ein
bißchen Zeit miteinander verbracht habt, dann ruf mich bitte an.«
»Natürlich«, sagte Jack.
»Alles, was du sagen mußt, ist ›ich liebe ihn‹. Mehr mußt du nicht
sagen, aber sag ja nicht weniger«, sagte seine Schwester. Ihre Finger spielten
Boëllmanns Tokkata oder etwas ähnlich Durchdringendes auf ihren angespannten
Oberschenkeln.
»Was mich angeht, kannst du dich entspannen, Heather«, sagte er.
»Kannst du Lippen lesen?« fragte sie,
immer noch ohne ihn anzusehen.
»Alle Schauspieler können Lippen lesen«, sagte er. Aber Heather
starrte nur zum Fenster hinaus, ohne etwas zu sehen, die Lippen so fest
geschlossen wie bei dem ersten Kuß, den er als Bruder von ihr bekommen hatte.
Es war noch früh am Morgen, als sie am Flughafen ankamen. Jack hatte
nicht erwartet, daß Heather zum Flughafen mitkommen, geschweige denn, ihn in
den Terminal begleiten würde. Nun ging sie ihm voran zum Check-in-Schalter.
Offensichtlich handelte es sich um einen Flug, mit dem sie vertraut war.
»Ich hoffe, es gefällt dir in der Schweiz«, sagte sie und scharrte
unruhig mit den Füßen.
Sie trug Bluejeans und ein dunkleres T-Shirt als am Vortag. Mit dem
Rucksack und ihrem kurzgeschnittenen Haar sah sie eher wie eine Studentin als
eine Dozentin aus. Abgesehen von ihren ständig sich bewegenden Fingern war
nichts an ihr mit Musik in Verbindung zu bringen. Sie war einfach eine kleine,
hübsche junge Frau, die dank ihrer Brille und ihres entschlossenen Gangs eine
etwas ernsthafte Ausstrahlung hatte.
Beim Metalldetektor, wo ein Sicherheitsbeamter einen Blick in Jacks
Paß warf und sein Handgepäck untersuchte, gab es eine Plexiglasbarriere, die
Heather daran hinderte, ihren Bruder bis [1038] zu seinem Gate zu begleiten. Jack
wollte sie küssen, aber sie hielt das Gesicht von ihm abgewandt.
»Ich verabschiede mich nicht von dir, Jack. Wage es ja nicht, dich
von mir zu verabschieden«, sagte sie, noch immer mit den Füßen scharrend.
»Okay«, sagte er.
Trotz der Plexiglasbarriere zwischen
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