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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Alice ihm
auf die Sprünge.
    Salo nahm die Mütze ab, als wolle er beten. Er knöpfte auch die
Jacke auf, stand aber einfach nur da. Unter der Jacke trug er einen
schmuddeligen weißen Pullover; die grau verblaßten Finger einer Skeletthand
ragten aus dem Kragen des Pullovers, als hielten sie Salos Hals umklammert. Es
war die idiotischste Tätowierung, die Alice je gesehen hatte – das jedenfalls
schloß Jack aus ihrem Gesichtsausdruck. Zum Glück verdeckte der Pullover den
Rest davon.
    Seine anderen Tätowierungen blieben Jack und Alice verborgen, und er
war auch nicht in Stimmung für eine Unterhaltung.
    »Die Abmachung ist«, begann er noch einmal, »daß ich Ihnen was über
den Musikmann erzähle und Sie die Stadt verlassen, egal, wohin.«
    »Es tut mir leid, daß Ihre Geschäfte gelitten haben«, sagte Alice.
    Er quittierte ihre Entschuldigung mit einem Nicken. Jack schämte sich
für den armen Mann und verbarg den Kopf unter dem Kopfkissen. »Es tut mir leid,
wenn meine Frau neulich im Restaurant unhöflich gewesen ist«, sagte Salo
vielleicht. »Sie mag es nicht, wenn sie abends arbeiten muß.«
    Seine Frau war, nahm Jack an, die rechthaberische Kellnerin [115]  im
Salve. Wenn er den Kopf unter ein Kissen stecken konnte, fand der Vierjährige
die Welt der Erwachsenen schon viel angenehmer. Selbst Jack merkte, daß Sami
Salo viel älter war als seine überarbeitete Frau, die jung genug aussah, um
seine Tochter sein zu können.
    Nachdem sie Entschuldigungen ausgetauscht hatten, gab es nur noch
wenig, was Alice und Sami Salo einander zu sagen hatten.
    »Amsterdam«, sagte der Picker. »Als ich ihm ein paar Noten von Bach
auf den Hintern gestochen habe, hat er gesagt, daß er nach Amsterdam fahren
will.«
    »Jack und ich werden Helsinki verlassen, sobald wir alles Nötige
geregelt haben«, sagte Alice.
    »Sie sind eine talentierte Frau«, hörte Jack den Picker sagen; es
klang, als stände er bereits auf dem Korridor.
    »Danke, Mr. Salo«, sagte Alice und schloß die Tür.
    Wenigstens stand Amsterdam auf ihrem Reiseplan. Jack konnte es kaum
erwarten, Tatoeërer-Pieter und sein eines Bein zu sehen.
    »Wir dürfen nicht vergessen, zur Johanneskirche zu gehen«, sagte
seine Mutter. Jack hatte gedacht, sie würden zum Reedereibüro gehen, doch er
irrte sich. »Da hat dein Vater Orgel gespielt. Wir sollten sie uns wenigstens
ansehen.«
    Sie waren nahe am Meer. Nachts hatte es geschneit – die Zweige der
Bäume bogen sich unter dem Gewicht des von der feuchten Seeluft schweren
Schnees.
    »Johanneksen Kirkko«, sagte Alice zu dem Taxifahrer. (Sie wußte
sogar, wie man das finnische Wort für »Kirche« aussprach!)
    Die Johanneskirche war riesig, ein gotisches Gebäude aus roten
Ziegeln mit zwei Türmen, deren Hauben blaßgrün im Sonnenlicht schimmerten. Das
Kirchengestühl hatte einen Farbton, [116]  der Jack an die Haare unter Hanneles
Achseln erinnerte. Die Glocken verkündeten ihre Ankunft. Laut Alice spielten
die drei Glocken die ersten drei Töne von Händels Te Deum.
    »Cis, E, Fis«, flüsterte das ehemalige Chormädchen.
    Das Altarbild war hoch und schmal und zeigte die Bekehrung des
Paulus auf dem Weg nach Damaskus. Die Orgel war eine Walcker aus Württemberg
und stammte aus dem Jahr 1891. Sie war 1956 restauriert worden und verfügte
über vierundsiebzig Register. Jack wußte, wozu Register dienten, doch er wußte
nicht, ob die Anzahl der Register etwas damit zu tun hatte, wie laut die Orgel
und wie voll ihr Klang war. (Da William Burns fortwährend dämonisiert wurde,
hielt sich das Interesse des Jungen für das Instrument seines Vaters in
Grenzen.)
    An einem sonnigen Tag wie diesem ließ das Licht, das durch die
Buntglasfenster fiel, die Pfeifen der Orgel blitzen, als wollte sie – auch ohne
Organisten – jeden Augenblick von allein zu spielen beginnen. Der Organist war
da und begrüßte die beiden. Alice hatte wohl mit ihm telefoniert. Sein Name war
Kari Vaara, und er war ein herzlicher Mann mit wild zerzaustem Haar. Er sah
aus, als hätte er soeben den Kopf aus dem Fenster eines rasenden Zuges
gesteckt, und hatte die enervierende Angewohnheit, die Hände zu falten, als
wollte er eine sein Leben verändernde Beichte ablegen oder auf die Knie sinken
– der unvermittelt zu Boden gestreckte Zeuge eines Wunders.
    »Dein Vater ist ein sehr talentierter Musiker«, sagte Vaara beinahe
verehrungsvoll zu Jack. Der Junge war sprachlos, er war es nicht gewohnt, daß
jemand seinen Vater lobte. »Aber Talent muß

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