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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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würde.
    Und dann gab es noch ein Bild von Jack und Claudia, das Miss Wurtz gemacht
haben mußte. Jack wußte nicht mehr, ob es der Abend vor dem
Mishima-Mißverständnis oder der Abend danach gewesen war. Sie hatten sich
Einlaß zu einer Privatparty verschafft, weil die Rausschmeißer Miss Wurtz für
eine Prominente gehalten hatten. Auf dem Bild sah Claudia ihn liebevoll an,
doch seine Augen waren anderswo. Er blickte weder auf sie noch in die Kamera.
(Wer ihn kannte, wußte, daß er seinen Blick über die Gäste schweifen ließ, um
Sonia Braga ausfindig zu machen.)
    [1087]  »Wie hast du mich gefunden, mein lieber Junge?« fragte sein Dad.
    »Heather hat mich gefunden. Sie hat Miss
Wurtz angerufen. Caroline weiß immer, wo ich zu finden bin.«
    »Liebe Caroline«, sagte William, als hätte er schon die ganze Zeit
vor, ihr einen Brief zu schreiben. »Auch so eine, die ich zur falschen Zeit
kennengelernt habe!«
    »Ich war gerade in Edinburgh bei Heather«, sagte Jack.
    »Kommandiert einen ziemlich herum, was?« meinte sein Vater.
    »Ich liebe sie«, sagte Jack.
    »Ich doch auch, mein Junge, ich doch auch!«
    Es gab noch mehr Fotos von Jack und Emma: Schließlich hatte sie
einen Großteil seines Lebens mit ihm verbracht. In der Bar Marmont, am Pool der
Skybar im Mondrian Hotel am Sunset Boulevard und in einem jener Bungalows auf
dem Gelände des Sunset Marquis in West Hollywood. Es gab Fotos von Jack am
Steuer seines Audis, eines Audis nach dem anderen. (Er wußte jetzt, daß Emma
sie alle gemacht hatte, aber er hatte nie groß darauf geachtet, wer ihn
fotografierte, weil es andauernd passierte.)
    Es gab auch Fotos von Heather und ihrer Mutter, einige davon
Duplikate der Fotos, die Heather ihm gezeigt hatte, und es gab noch mehr
Skiurlaubsbilder. Am meisten aber überraschte ihn, wie oft Alice auf den Fotos
von ihm zu sehen war. (Er fragte sich, wieso sein Vater sie nicht herausgeschnitten
hatte. Er an seiner Stelle hätte das getan.) Und einige dieser Fotos stammten
von Jacks erster Reise in jene Nordseestädte, als er vier Jahre alt gewesen war
und noch die Angewohnheit gehabt hatte, sich an der Hand seiner Mutter
festzuhalten.
    Da waren sie am Nyhavn, vor dem Studio von Tatovør-Ole: Entweder
Herzensbrecher-Madsen oder Ole selbst mußte dieses Foto gemacht haben. Und in
Stockholm, vor einem Schiff von [1088]  den Schären, das beim Grand festgemacht
hatte. Kam dieses Bild von Torsten Lindberg? Jack würde niemals vergessen, daß
er, ohne es zu wissen, im Restaurant des Hotels Bristol seinem Vater begegnet
war – in Oslo, wo William nicht mit Ingrid Moe geschlafen hatte. Aber wer hatte
das Foto gemacht, auf dem sich Jack vor der Domkirke, der Kathedrale von Oslo,
an der Hand seiner Mutter festhielt?
    Noch im Grab würde Jack in der heutigen Eingangshalle des Hotels
Torni die American Bar erkennen, doch welche von den lesbischen
Musikstudentinnen in Helsinki hatte das Bild gemacht, auf dem Jack und seine Mutter
die Treppe hinaufgingen? (Sie hatten jedesmal die Treppe benutzt, weil der
Fahrstuhl ständig außer Betrieb gewesen war, und sie hatten einander jedesmal –
wie auf dem Bild – bei der Hand gehalten.)
    Warum hatte William Burns nicht jede Spur von Jacks Mutter aus
seiner Umgebung entfernt?
    Jack betrachtete die Bilder aus Amsterdam so eingehend, daß er gar
nicht gemerkt hatte, wie dicht sein Vater bei ihm stand und wie eingehend er
seinerseits seinen Sohn betrachtete. Es gab ein Foto von Jack mit seiner Mutter
und Tatoeërer-Theo und ein anderes von Jack mit Tatoeërer-Pieter, dem großen
Pieter de Haan, dem vom Knie abwärts das linke Bein fehlte. Jack konnte sich an
Pieters angeklatschtes Haar erinnern, aber auf dem Foto wirkte er blonder. Auch
an die Woody-Woodpecker-Tätowierung auf Tatoeërer-Pieters rechtem Bizeps konnte
er sich erinnern.
    »Tatoeërer-Pieter war erst fünfzehn, als er auf die Mine getreten
ist«, sagte William, aber Jack war schon weitergegangen. Er betrachtete sich
selbst als Vierjährigen, wie er mit seiner Mutter durch das Rotlichtviertel
spazierte. Kameras waren dort nicht willkommen – die Prostituierten wollten
nicht fotografiert werden. Aber irgendwer, wahrscheinlich Els oder Saskia,
mußte eine Kamera gehabt haben. Alice lächelte die Fotografin an, als wäre
alles bestens, als wäre immer alles bestens gewesen.
    [1089]  »Was fällt dir ein, deine Mutter so anzuschauen?« fuhr ihn sein
Vater an.
    »Was?«
    »Mein lieber Junge! Wie lange ist sie jetzt schon

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