Bis ich dich finde
Organist, eher wie ein
Leadsänger oder einer jener mageren, androgynen Männer mit einer E-Gitarre als
ein »Tasteninstrumentalist« (so Heathers Bezeichnung).
[1082] »Gehen wir wirklich in die Kronenhalle?« fragte Jacks Vater.
»Ja. Was ist so besonderes daran?« fragte Jack.
»Dort hängen echte Kunstwerke an den Wänden, Picasso und solche
Leute. James Joyce hatte dort seinen eigenen Tisch. Und das Essen ist gut«,
sagte William. »Ich hoffe, wir gehen nicht mit Dr. Horvath. Ich mag Klaus, aber
er frißt wie ein Bauer!«
»Wir gehen mit Dr. von Rohr und Dr. Krauer-Poppe«, sagte Jack.
»Ach, wie schön«, sagte William wie schon zuvor sarkastisch. »Du
wirst kaum je zwei besseraussehende Psychiaterinnen zu sehen kriegen, das
gestehe ich ihnen gerne zu, aber Ruth bekommt man schnell über, und
Anna-Elisabeth geht nie mit mir aus, ohne irgendwelche Medikamente
mitzuschleppen.«
Jack kämpfte gegen den Eindruck an, vor dem seine Schwester ihn
gewarnt hatte: Sein Vater wirkte auf ihn fast normal oder jedenfalls nicht halb
so exzentrisch, wie er erwartet hatte. Mit Sicherheit war er nicht so
angespannt wie Professor Ritter oder so krachledern wie Dr. Horvath, und er war
nicht annähernd so verkrampft wie Dr. Berger, Dr. von Rohr oder Dr.
Krauer-Poppe. Von dem Team, das William Burns betreute, war Jack eigentlich nur
Dr. Huber normal vorgekommen, und sie war
Internistin, keine Psychiaterin. (Eine Pragmatikerin hatte Heather sie
genannt.)
»Du hast so viele Fotos«, sagte Jack zu seinem Vater. »Von mir,
meine ich.«
»Nun ja – natürlich!« rief William. »Sieh sie dir ruhig an. Bestimmt
hast du oft gar nicht gemerkt, wie sie gemacht worden sind!«
Jack stand vom Bett auf und betrachtete die Pinnwände. Auf Socken
folgte ihm sein Vater so dicht und leise wie sein Schatten.
Es gab noch mehr Ringerfotos – zu viele, wie Jack fand. Wer hatte
sie nur alle gemacht? In einigen Fällen gab es zehn Bilder [1083] von ein und
demselben Kampf! Das galt für einen seiner Kämpfe in Redding und zwei in
Exeter. Ihm war nicht bewußt, daß er dort so ergebene Bewunderer gehabt hatte.
Allerdings hatte sein Vater sowohl in Exeter als auch in Redding das Schulgeld
bezahlt und sich deshalb vielleicht berechtigt gefühlt, jemanden zu bitten,
Fotos von Jack beim Ringen zu machen – aber wen?
Er spürte, wie ihm sein Vater unter den Achseln hindurch die Arme um
die Brust legte. Die langen, verkrümmten Finger von Williams kleinen Händen
verschränkten sich über dem Herzen seines Sohns. Jack spürte, wie sein Vater
ihm einen Kuß auf den Hinterkopf gab. »Mein lieber Junge!« sagte William. »Es
war so schwer, mir meinen Sohn als Ringer vorzustellen! Ich mußte es schlicht
und einfach mit eigenen Augen sehen.«
»Du hast mich ringen sehen?«
»Ich habe deiner Mutter versprochen, keinen Kontakt mit dir
aufzunehmen. Ich habe nicht gesagt, daß ich dich nie sehen würde!« rief er.
»Deine Ringkämpfe waren öffentliche Veranstaltungen. Selbst wenn sie es gewußt
hätte – und das hat sie nicht –, hätte sie mich nicht daran hindern können!«
»Du hast einige dieser Fotos gemacht?« fragte Jack.
»Natürlich! Trainer Clum war ein netter Mann, wenn auch kein sehr
begabter Fotograf, und Trainer Hudson und Trainer Shapiro – was für wunderbare
Menschen! Dein Freund Herman Castro ist ein großartiger Bursche. Du solltest in
Kontakt mit ihm bleiben. Ich meine intensiver, als du es tust, Jack. Aber viele
von den Ringerbildern habe ich selbst gemacht. Ja, das habe ich!« William
schien plötzlich gereizt darüber, daß Jack so verblüfft aussah. »Schließlich
hatte ich keine Lust, so weit zu fahren und dann keine Bilder zu machen!« sagte
sein Vater mit einem Anflug von Entrüstung in der Stimme. »Wie mühsam es ist,
nach Maine zu fahren – und nach New Hampshire kommt man auch nicht viel
einfacher.«
Jack kam der Gedanke, daß Heather gerade auf die Welt [1084] gekommen
war, als er seine ersten Ringkämpfe in Redding gehabt hatte. Möglicherweise war
William nach Maine gereist, als Barbara schwanger oder Heather noch ein
Säugling gewesen war. Und als William nach New Hampshire gekommen war, um ihn
in Exeter ringen zu sehen, dürfte Heather ein kleines Mädchen gewesen sein – zu
klein, um sich an die Abwesenheiten ihres Vaters zu erinnern. Aber waren diese
Reisen für Barbara nicht schwierig gewesen? Zuerst hatte sie Krebs gehabt, dann
war sie von einem Taxi überfahren worden, und es hatten keine
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