Bis ich dich finde
daß sein Vater die
Augen aufschlug oder etwas sagte.
»Wir lassen Sie beide jetzt allein«, sagte Professor Ritter widerstrebend.
Jack hatte damit gerechnet, Fotos von sich selbst zu sehen,
hauptsächlich solche, die aus Filmzeitschriften ausgeschnitten waren: sämtliche
Filmpremieren, der ganze Galaempfangskram und die Oscarverleihung. Nicht aber
die persönlichen Schnappschüsse, von denen es viele gab. (Mehr von Jack als von
Heather!)
Da war er in einer von Miss Wurtz’ vielen Adaptionen in St. Hilda.
Natürlich erkannte er sich als Braut auf Bestellung – bei jenem entscheidenden,
blutgetränkten Auftritt in Mr. Ramseys Inszenierung. Diese Fotos mußten Miss
Wurtz und Mr. Ramsey gemacht haben. (Jack war sich ziemlich sicher, daß es
Caroline war, die seinem Vater die Fotos geschickt hatte.)
[1080] Aber das erklärte nicht die Fotos von Jack mit Emma – diejenigen
in Mrs. Wicksteeds Küche hatte wohl Lottie gemacht, aber es gab auch welche von
Jack und Emma in Mrs. Oastlers Haus – oder die von Jack und Tschenko in dem
Fitness-Studio in der Bathurst Street oder die von Jack als Ringer in Redding!
Hatte Leslie Oastler seinem Vater Fotos geschickt? Hatte seine Mutter
nachgegeben, und sei es nur ein bißchen?
Aber Mrs. Oastler und seine Mutter waren nie nach Redding gekommen.
Hatte Trainer Clum ihm diese Ringerfotos geschickt? Es gab auch Ringerfotos aus
Exeter; vielleicht waren Trainer Hudson und Trainer Shapiro ja auch
Bilderlieferanten gewesen.
Jack hörte die Tür zum Flur leise zuklappen. Als er seinen auf dem
Bett liegenden Vater ansah, hatte dieser die Augen offen und lächelte. Jack
hatte keine Ahnung, wie lange sein Vater ihn schon betrachtete. Er hatte nur
einen flüchtigen Blick auf eine von einem Dutzend oder mehr Pinnwänden
geworfen, aber das genügte, um zu erkennen, daß sich sein Vater mit Bildern aus
Jacks Kindheit und Schulzeit umgeben hatte. (Teilweise erklärte dies auch
Heathers Zorn auf ihren Bruder: Seine Vergangenheit war in der beengten
Unterkunft ihres Vaters visuell stärker präsent als ihre.)
»Ich hatte schon Angst, du hättest mich vergessen«, sagte sein
Vater. Es war einer von Billy Rainbows Sätzen. Jack hatte diesen Satz immer gemocht,
und sein Vater sprach ihn perfekt.
Mit einer schwächlichen Handbewegung wies Jack auf all die Fotos.
»Ich hatte Angst, du hättest mich vergessen!« stieß
er hervor – mit seiner eigenen Stimme, nicht der von Billy Rainbow.
»Mein lieber Junge«, sagte sein Vater. Er klopfte mit der Hand auf
das Bett, und Jack setzte sich neben ihn. »Du hast keine Kinder, aber wenn du
mal welche hast, wirst du verstehen, daß es unmöglich ist, sie zu vergessen!«
Erst jetzt bemerkte Jack die Handschuhe seines Vaters. Es [1081] waren
wohl Damenhandschuhe, eng anliegend und aus so dünnem Material, daß William die
Seiten seines Buches ebensogut wie mit bloßen Händen umblättern konnte. Die
Handschuhe waren hellbraun, fast hautfarben.
»Meine Hände sind so häßlich«, flüsterte Jacks Vater. »Sie sind vor
allem anderen gealtert.«
»Zeig sie mir«, sagte Jack.
William zuckte ein-, zweimal zusammen, während er sich die
Handschuhe von den Fingern zupfte, wollte sich aber von Jack nicht helfen
lassen. Er legte seine Hände in die seines Sohnes, der spürte, daß sein Vater
leicht zitterte, als fröre er. (Jack kam es im Zimmer sehr warm vor.) Er
bezweifelte, daß William sich einen Ring hätte anstecken oder abziehen können,
so ausgeprägt waren die Verunstaltungen an seinen Fingerknöcheln. Er trug keine
Ringe. Und die knöchernen Verdickungen, die Heberden-Knoten, die sich an den
obersten Fingergelenken gebildet hatten, entstellten die Hände seines Vaters
stärker, als Jack erwartet hätte.
»Sonst fehlt mir nichts, Jack«, sagte sein Vater. Er legte eine Hand
aufs Herz. »Nur hier ist manchmal was.« Er hielt sich den Zeigefinger der
anderen Hand an die Schläfe, als richtete er eine Waffe auf seinen Kopf. »Und
da drin«, fügte er mit einem boshaften kleinen Lächeln hinzu. »Und du?«
»Mir fehlt nichts«, sagte Jack.
Es war, als betrachtete er sich selbst auf einem Krankenhausbett, in
Kleidern, die er niemals tragen würde – als wäre er eines Nachts mit
achtunddreißig eingeschlafen und am nächsten Tag mit vierundsechzig erwacht.
William Burns war auf eine Weise dünn, wie es viele Musiker sind.
Mit seinen langen Haaren und der feinknochigen, femininen Schönheit seines
Gesichts wirkte er eher wie ein Rockmusiker als ein
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