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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nichts.
»Nimm nicht das Wiener Schnitzel, Jack«, fuhr sein Vater fort, als hätte er
sich von Anfang an nur mit der Speisekarte beschäftigt, die er eben erst zur
Hand genommen hatte.
    »Warum nicht, Pop?«
    »Sie schlachten ein ganzes Kalb und legen dir die Hälfte davon auf
den Teller«, sagte William. »Und nimm auch nicht den Bauernschmaus.« (Der
Bauernschmaus, ein Teller mit verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten, war bei
Österreichern sehr beliebt und hörte sich nach einem Gericht an, das Dr.
Horvath bestellt hätte. Es stand jedoch, wie Jack feststellte, gar nicht auf
der Speisekarte der Kronenhalle.) »Und nimm vor allem nicht die Bratwurst. Das
ist eine Kalbswurst, so groß wie ein Pferdeschwengel.«
    »Dann lasse ich das lieber«, sagte Jack.
    Dr. von Rohr und Dr. Krauer-Poppe unterhielten sich in rasend
schnellem Schweizerdeutsch. Es war nicht das Hochdeutsch – das Schriftdeutsch,
wie die Schweizer sagen –, das Jack in der Schule gelernt hatte.
    »Schwyzerdütsch«, sagte sein Vater verächtlich. »Wenn sie wollen,
daß ich sie nicht verstehe, reden sie Schwyzerdütsch.«
    »Wenn du nicht von Pferdeschwengeln reden würdest, müßten sie
vielleicht nicht über dich reden, Pop.«
    [1107]  »Ich finde, du solltest dir eine neue Therapeutin suchen, Jack.
Jemanden, mit dem du über alles reden kannst, wie es sich ergibt – nicht
unbedingt in chronologischer Reihenfolge, Herr des Himmels.«
    Das Herr des Himmels überraschte Jack
nicht nur, weil es genauso klang, wie er es selbst immer sagte – er sagte es
nur gelegentlich –, sondern weil er es niemals in einem seiner Filme gesagt
hatte. (William, so hatte er von Dr. Berger erfahren, hatte ihn ziemlich
gründlich studiert, und Dr. Rohr hatte Jack darauf aufmerksam gemacht, daß
damit durchaus nicht nur seine Filme gemeint seien.)
    »Interessant, was er alles weiß, nicht wahr?« fragte ihn Dr. von
Rohr.
    Der Kellner – der stets zur rechten Zeit erscheinende, auf den
Fußballen federnde Dicke – war zurück, um ihre Bestellung entgegenzunehmen.
Jacks Vater bestellte, ohne zu zögern, das Wiener Schnitzel.
    »William, ich weiß, wie Sie essen – Sie schaffen davon nicht einmal
die Hälfte«, sagte Dr. Krauer-Poppe zu ihm.
    »Mir geht es genau wie Jack mit seinem Bier«, sagte William. »Ich
muß es ja nicht aufessen. Außerdem habe ich die Pommes frites, die es dazu
gibt, nicht bestellt, sondern bloß den grünen Salat. Und noch ein
Mineralwasser, bitte«, sagte er zum Kellner. Jack sah zu seiner Überraschung,
daß die Literflasche leer war.
    »Immer mit der Ruhe, William«, sagte Dr. Krauer-Poppe und berührte
den Rücken seiner schwarz behandschuhten Hand. William zog die Hand weg.
    Im Restaurant herrschte Betrieb, aber es war nicht überfüllt. Sie
hatten für eine Zeit reserviert, zu der in der Kronenhalle noch kein
Hochbetrieb herrschte, das jedenfalls hatte der Portier zu Jack gesagt. Aber
sämtliche Anwesenden hatten Jack Burns erkannt. »Sehen Sie sich um, William«,
sagte Dr. von Rohr, und ihre Stimme war ebenso dominant wie die silbergraue [1108]  Blitzschlagsträhne in ihrem Haar. »Sie können stolz sein auf Ihren berühmten
Sohn.« Aber William wollte sich nicht umsehen.
    »Und alle diese fremden Menschen, die Jack erkennen, sehen
zwangsläufig, daß Sie sein Vater sind – Sie werden auch erkannt, William«,
sagte Dr. Krauer-Poppe.
    »Und was denken sich diese Leute wohl?« fragte William. »›Da sitzt
Jack Burns’ alter Herr mit seiner wahrscheinlich zweiten oder dritten Frau‹ –
das wären dann Sie, Ruth«, sagte William zu Dr. von Rohr, »denn Sie sind
offensichtlich die ältere der beiden schönen Damen an diesem Tisch, aber Sie
sind eindeutig nicht alt genug, um Jacks Mutter zu sein.«
    »William, lassen –«, begann Dr. Krauer-Poppe.
    »Und was denken sie sich über Sie, Anna-Elisabeth?« fragte William.
»›Wer ist die hübsche junge Frau mit dem Ehering? Das muß Jack Burns’
Begleiterin sein!‹ Das mit Ruths Reisetasche haben sie noch nicht mitgekriegt.«
    »Dad –«
    »Pop!« verbesserte ihn sein Vater.
    »Können wir uns nicht einfach normal unterhalten, Pop?«
    »Worüber denn? Über Sex mit Prostituierten oder über Hugo?« Dr.
Krauer-Poppe ließ ihre Handtasche aufschnappen. »Okay, ich höre auf. Es tut mir
leid, Anna-Elisabeth«, sagte Jacks Vater.
    »Ich habe nur nach einem Taschentuch gesucht, William. Ich habe
etwas im Auge«, sagte Dr. Krauer-Poppe. »Ich habe gar nicht an Ihre

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