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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Fall, daß sie ihn bei einem verstohlenen
Blick ertappte, waren zu schrecklich.
    Und der fiese Freund der Mutter, der sich mit seinem nackten Bauch
auf einen legte, so daß man um jeden Atemzug kämpfen mußte, war natürlich Emma
Oastler. Jacks Nase fand ihren Bauchnabel – so bekam er ein wenig Luft. Als er
den Nabel einmal mit der Zunge erkundete, sagte Emma: »Mensch, du hast ja so
was von keine Ahnung, was du da tust.«
    In der echten Fledermaushöhle war es nur geringfügig weniger
gruselig. Während Miss Caroline Wurtz den Überblick restlos verlor, hatten die
Drittkläßler wenigstens die Gewißheit, daß sich nur Vampirfledermäuse und
Riesenflughunde über sie hermachen würden. In dieser Fledermaushöhle gab es
weder fiese Freundinnen geschiedener Väter noch fiese Freunde oder Freund innen alleinerziehender Mütter. Verglichen mit diesen
sexuellen Bedrohungen aus der Welt der kürzlich Geschiedenen waren Fledermäuse
geradezu harmlos.
    Die Kinder, die erst in der zweiten Klasse nach St. Hilda gekommen
waren, zeigten zunächst keine Angst, als in den Säugetiersälen des Royal
Ontario Museum der Strom ausfiel – sie hatten ja noch gar keine Erfahrungen mit
der Fledermaushöhle, die [196]  ihnen hätten angst machen können. Die anderen
Kinder dagegen hatten so viel Angst, daß sie ansteckend wirkte.
    Daß Miss Wurtz ebenfalls Angst hatte, war zunächst wenig
überraschend – es war nicht das erste Mal, daß sie in einer dritten Klasse
vollkommen die Fassung verlor. In der Fledermaushöhle konnte sie allerdings
nicht auf die Hilfe der Frau in Grau hoffen, die ihr in der Junior School durch
ihr übernatürlich plötzliches Auftauchen stets aus der Klemme half. Nicht so im
Royal Ontario Museum, wo Jack und die anderen Drittkläßler heulten und schrien.
Daß sie sogleich die Augen schlossen, beunruhigte Miss Wurtz nur noch mehr.
    »Macht die Augen auf, Kinder! Nicht einschlafen! Nicht hier!« rief
Miss Wurtz.
    Caroline French, die ihre Augen fest zukniff, hatte einen
hervorragenden Rat für ihre hysterische Lehrerin: »Erschrecken Sie nicht die
Flughunde, Miss Wurtz – die sind nur gefährlich, wenn man sie erschreckt.«
    »Mach die Augen auf, Caroline!« kreischte Miss Wurtz.
    »Aber wenn Sie an der Kehle einen warmen, feuchten Atem spüren, ist
es natürlich was anderes«, fuhr Caroline French fort.
    »Wenn ich was an meiner Kehle spüre?«
fragte Miss Wurtz und schützte ihren Hals mit den Händen.
    Jacks Gefühle für Miss Wurtz waren äußerst widersprüchlich. Es war
ihm peinlich, daß sie im wirklichen Leben so etwas wie Bühnenpräsenz vollkommen
vermissen ließ, aber er fand sie schön. Er war heimlich in sie verliebt. »Sie
meint eine Vampirfledermaus«, versuchte er Miss Wurtz zu erklären, obwohl er
wußte, wie sehr Caroline es haßte, unterbrochen zu werden. (Ihr Bruder
unterbrach sie oft.)
    »Du machst Miss Wurtz nur angst«, sagte Caroline verärgert. »Miss
Wurtz – wenn Sie den warmen, feuchten Atem an Ihrer Kehle spüren, müssen Sie
regelrecht durchdrehen. Schlagen Sie mit den Armen nach ihr.«
    [197]  »Nach wem ?« heulte Miss Wurtz.
    »Aber wenn Sie den Atem an Ihrem Bauchnabel spüren, müssen Sie ganz
ruhig bleiben«, sagte Gordon French in scheinbarem Widerspruch zu seiner
ungeliebten Schwester.
    »Einfach nicht bewegen«, riet Jack.
    »Aber da ist kein Atem an meinem Bauchnabel!« schrie Miss Wurtz.
    »Siehst du, Jack?« sagte Caroline French. »Du hast es nur schlimmer
gemacht.«
    »Keine Panik«, sagte die Lautsprecherstimme. »Die Störung wird in
Kürze behoben sein.«
    »Ich hab vergessen, warum wir in die Fledermaushöhle hineinkriechen
müssen«, sagte Jimmy Bacon. (Keiner von ihnen konnte sich an diesen Teil von
Emmas Geschichte erinnern.)
    »Niemand kriecht in die Höhle hinein!« schrie Miss Wurtz. »Macht
sofort die Augen auf!« Jack erwog, ihr zu sagen, daß das ultraviolette Licht
sie dann erblinden lassen würde, hatte aber das Gefühl, sie mit dieser weiteren
schlechten Nachricht zu überfordern.
    »Ich spüre einen Flughund«, flüsterte Jack und rührte sich nicht,
doch es war nur Maureen Yap, die auf die Knie gesunken war und vor seinem Bauch
hyperventilierte.
    »Hört auf damit!« rief Miss Wurtz. Jimmy Bacon stöhnte und rieb
seinen Kopf an ihrer Hüfte. Vielleicht wollte sie ihn gar nicht am Hals packen,
doch Jimmy reagierte mit sofortiger Vampirabwehr: Er schrie und schlug um sich
und drehte regelrecht durch. Miss Wurtz schrie ebenfalls. (Und dabei war

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