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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gut, ich zeige sie dir, versprach das
Lächeln – aber jetzt noch nicht.
    [221]  Von der Vorschule bis zur zweiten Klasse lebte Jack in einer
Noch-nicht-Welt. Das Mitleid mit Mr. Malcolm trug durchaus zu Jacks Bildung
bei, doch im übrigen lag seine Bildung ebensosehr in Emma Oastlers wie in Mr.
Malcolms Händen. Allerdings war das, was Emma ihm vermittelte, letztlich
eindrücklicher und dauerhafter.
    An Regentagen oder wenn es schneite, stieg Emma in den Fond des Town
Car und gab Peewee folgende Anweisung: »Fahr uns einfach ein bißchen herum,
Peewee. Und keine verstohlenen Blicke – sieh auf die Straße.«
    »Ist das okay, Mann?« fragte Peewee jedesmal.
    »Ja, das wäre schön, Peewee. Danke, daß du gefragt hast«, antwortete
Jack.
    »Sie sind der Boss, Miss«, sagte Peewee dann.
    Jack und Emma ließen sich tief in die Sitze sinken und kauten
ununterbrochen Kaugummi – je nach Geschmacksrichtung roch ihr Atem minzig oder
fruchtig. Emma ließ sich von Jack den Zopf öffnen, doch er durfte ihn nie neu
flechten. Sie hatte eine so üppige Mähne, daß sie beide ihre Gesichter darunter
verbergen konnten. »Wenn du mir Kaugummi in die Haare klebst, Süßer, bring ich
dich um«, sagte Emma oft, doch einmal, als Jack über irgend etwas lachte, klang
sie plötzlich wie seine Mutter: »Lach nicht, wenn du Kaugummi kaust – du
könntest ersticken.«
    Es gab einen Augenblick der Verwirrung, als sie ihren Trainings- BH , wie Emma ihn verächtlich nannte, untersuchten. Soweit
Jack es beurteilen konnte, hatte das Training bereits erste Erfolge gezeitigt.
Jedenfalls wurden Emmas Brüste größer. War das nicht der Sinn der Übung?
    Sein Penis dagegen hatte, was das Wachstum betraf, keinerlei
Fortschritte gemacht. »Wie geht’s dem Kleinen?« fragte Emma immer, und Jack
gewährte ihr pflichtschuldig Einblick. »Woran denkst du, mein Kleiner?« fragte
Emma seinen Penis einmal.
    Jack wußte nicht, warum er so überrascht war zu erfahren, daß [222]  Penisse denken konnten – schließlich konnten sie ja auch träumen –, doch in
seinem schienen keine Denkprozesse stattzufinden. Noch
nicht.
    Nach der zweiten Klasse begegnete Jack Mr. Malcolm beinahe nur
noch in der Jungentoilette, wohin sich der Lehrer manchmal zurückzog, um zu
weinen. Häufig fand Jack ihn auch vor dem Spiegel, wo er sein Gesicht
studierte, als gälte seine größte (und vielleicht einzige) Eitelkeit seinem
Bartschatten und dem sprießenden Schnurrbart.
    Mrs. Malcolm bekam Jack ebenfalls nur selten zu Gesicht.
Normalerweise nicht öfter als zweimal täglich war eine der Mädchentoiletten mit
einem »Außer Betrieb«-Schild versehen, was bedeutete, daß Mr. Malcolm dort
Rollstuhl-Jane versorgte. Die Mädchen waren angewiesen, die Privatsphäre der
Malcolms zu respektieren.
    Einmal hörte Jack aus der Toilette das unverkennbare Klatschen von
Mrs. Malcolms Ohrfeigen. Er versuchte, sich so schnell wie möglich zu
entfernen, doch Mr. Malcolms jämmerliches »Nun beruhige dich doch, Jane«, rasch
gefolgt von seinem »Jane, Liebling –« hörte er trotzdem – bis das sich
wiederholende Melodram von irgendeinem Korridorlärm übertönt wurde. (Ein paar
Sechstkläßlerinnen gingen vorbei, und natürlich klang es, als wären es mehrere
Dutzend.)
    In den beiden verbleibenden Jahren in St. Hilda gab es viele
Augenblicke, in denen Mr. Malcolm Jack fehlte. Die Augenblicke, in denen er
gesehen hatte, wie der Lehrer von seiner Frau behandelt wurde, fehlten ihm nie.
Von da an verspürte Jack beim Anblick von Menschen im Rollstuhl nicht weniger
Mitleid als vor seiner Begegnung mit Mrs. Malcolm. Er hatte nur mehr Mitleid mit den Menschen, die diese Behinderten betreuten.
    [223]  Der Kleine und Jack waren acht Jahre alt, als sie in die
dritte Klasse kamen. Noch bevor sein Penis ihm zeigte, daß er ganz eigene
Träume und Gedanken haben konnte, begannen die beiden, parallele (wenn auch
nicht ganz und gar getrennte) Leben zu führen.
    Daß Miss Caroline Wurtz’ Schönheit »vergänglich« war, wurde durch
ihre zierliche Statur unterstrichen. Sie war auf jeden Fall kleiner als alle
Mütter der Drittkläßler. Und sie benutzte ein Parfüm, das die Jungen dazu
anregte, über Probleme mit der gestellten Mathematikaufgabe zu klagen. Miss
Wurtz beugte sich dann über den Tisch des betreffenden Schülers, so daß er das
Parfüm riechen und einen genauen und stark ersehnten Blick auf das niedliche
Muttermal über ihrem rechten Schlüsselbein und die kleine,

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