Bis ich dich finde
in Grau zu Miss Wurtz. »Das ist… Ihre
Klasse… Sie bleiben…«
Die Booth-Zwillinge bekamen den Auftrag, Maureen Yap ebenfalls zur
Schulschwester zu begleiten. Maureen hatte sich von ihrer Ohnmacht noch nicht
ganz erholt und wirkte wie benebelt, und auch Jimmy Bacon war erst halb zu sich
gekommen: Er hockte auf allen vieren da, als suchte er noch immer nach Gordons
verstorbenem Hamster. Grant Porter und James Turner wurden angewiesen, Jimmy
zur Schulschwester zu bringen. (So dämlich, wie die beiden waren, bezweifelte
Jack, daß sie überhaupt wußten, wo die Krankenstation war.)
Jack war überrascht, wie sanft Mrs. McQuat ihn am Ohr faßte. Ihr
Daumen und Zeigefinger, die sein Ohrläppchen hielten, waren eiskalt, doch als
die Frau in Grau ihn aus dem Klassenzimmer führte, verspürte er keinen Schmerz.
Und auf dem Korridor, wo sie sein Ohr losließ – ihre kalte Hand legte sich auf
seinen Nacken und schob ihn –, begannen sie ein angesichts der Umstände
freundliches Gespräch.
»Und was für ein… Problem hatte… Miss Wurtz diesmal?« flüsterte Mrs.
McQuat.
Er hatte befürchtet, daß der Kuß zur Sprache kommen würde, doch er
zögerte nur eine Sekunde. Die Frau in Grau anzulügen, war undenkbar. »Ich habe
Lucinda Fleming geküßt«, gestand er.
Mrs. McQuat nickte und schien nicht überrascht. »Wo?« flüsterte sie.
»Auf den Nacken.«
»Das ist… nicht so schlimm«, sagte die Frau in Grau. »Ich hatte
gedacht… es sei… etwas Schlimmeres.«
In der Kapelle, wo Jack dem Augenblick, da er Gott den Rücken kehren
würde, angstvoll entgegensah, war niemand. Mrs. McQuat führte ihn zu einer der
vorderen Bänke. Sie setzten sich [256] und blickten auf den Altar. »Soll ich mich
nicht umdrehen?« fragte Jack.
»Du nicht, Jack.«
»Warum nicht?«
»Ich glaube… du mußt in die… richtige Richtung sehen«, sagte sie.
»Kehre Gott nie den Rücken, Jack… In deinem Fall… bin
ich mir sicher: Er sieht dich.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich.«
»Oh.«
»Du bist erst… acht, Jack… Du bist erst acht… und küßt schon…
Mädchen.«
»Aber nur auf den Nacken.«
»Was du getan hast… war nicht viel… aber du siehst… die Folgen.«
(Urin, Blut, Totenstarre, Das muß genäht werden. )
»Was soll ich tun, Mrs. McQuat?«
»Beten«, sagte sie. »Und du solltest… beim Beten… in die richtige…
Richtung sehen.«
»Und um was beten?«
»Darum, daß du… es schaffst… deine Begierden… zu zügeln.«
»Meine was zu
zügeln?«
»Bete, daß du… die Kraft hast… nicht nachzugeben…Jack.«
»Wem? Dem Küssen?«
»Schlimmeren Dingen… Jack.«
Sie hätte ebensogut sagen können: deinem Vater in dir. Bei den
Worten: »Bete, daß du… die Kraft hast… nicht nachzugeben«, hatte sie ihm nicht
in die Augen sehen können – statt dessen hatte sie auf seinen Schoß gesehen.
Sie meinte seinen Kleinen und das, was dieser möglicherweise plante. Was immer
es war, das schlimmer war als Küssen – Jack betete um die Kraft, nicht
nachzugeben. Er betete und betete.
[257] »Entschuldige, daß ich… dein Gebet unterbreche, Jack… aber ich
habe… eine Frage.«
»Ja?« sagte Jack.
»Hast du je… etwas Schlimmeres getan… als ein Mädchen… zu küssen?«
»Was wäre etwas Schlimmeres?«
»Vielleicht etwas… was über das… Küssen hinausgeht.«
Jack betete, die Frau in Grau möge ihm vergeben. »Ich habe mit Mrs.
Oastlers BH geschlafen.«
»Emma Oastler? Sie hat dir… ihren BH gegeben?«
»Nicht Emmas. Es war der BH ihrer
Mutter.«
»Aber Emma… hat ihn dir… gegeben?«
»Ja. Meine Mutter hat ihn wieder zurückgebracht.«
»Gütiger Himmel!« sagte Mrs. McQuat.
»Es war ein Push-up- BH «, erklärte
Jack.
»Fahr fort… in deinem Gebet… Jack.«
Sie verließ ihn auf ihre gespenstische Weise, beugte im Mittelgang
das Knie und bekreuzigte sich. Sie war so freundlich zu ihm gewesen, daß er
unwillkürlich meinte, sie müsse lebendiger sein, als er gedacht hatte, doch was
sie zu ihm gesagt hatte, war so schauerlich gewesen wie eine Mahnung aus dem
Grab.
Gott hatte Jack Burns im Auge. Sollte Jack Ihm den Rücken kehren, so
würde Er es bemerken. Und Gott behielt ihn deshalb so genau im Auge, weil Er
wußte, daß Jack vom rechten Weg abweichen würde. (Auch die Frau in Grau schien
sich in diesem Punkt recht sicher zu sein.) Ob es an dem Vater in ihm lag oder
an der Phantasie und dem Eigensinn, die sein Kleiner bereits jetzt an den Tag
legte – Jack schien für sexuelle
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