Bis in alle Ewigkeit
häufig von Kommissionen gesellschaftlicher Organisationen aufgesucht. Jeder derartige Besuch bedeutete hektisches Herumgerenne und Blankgeputze. Es gab feierliche Rundgänge durch die Krankenzimmer, die Gäste redeten herablassend und säuselnd mit den verwundeten Soldaten, als wären diese schwachsinnige Kinder, die Lazarettleitung lächelte unterwürfig. Den Abschluss bildete stets ein Bankett in einem nahegelegenen französischen Restaurant. Es wurden Reden gehalten, in denen es um das baldige Aufgehen der Sonne der Demokratie über Russland ging, um den langersehnten Sieg über die dunklen Mächte und um die Notwendigkeit, sich zusammenzuschließen im Kampf für ein neues, freies, zivilisiertes Russland.
Auf den Banketten wurde stets reichlich und gut gegessen. Indessen wurden die Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung immer spürbarer. In den Schlangen nach Fleisch, Brot undGraupen brodelte es, Köchinnen hielten Reden, Soldaten schimpften unflätig auf die Zarin. Sie war besonders verhasst, und das nur, weil sie Deutsche war. Daraus wurde kurzerhand geschlossen, dass sie mit dem Feind sympathisierte und ihm über eine spezielle Telegrafenleitung russische Militärgeheimnisse verriet. Dass Alexandra Fjodorowna mehr Engländerin war als Deutsche, war vergessen.
In den ersten Januartagen hatte die Nachricht von der Ermordung Rasputins allgemeinen Jubel ausgelöst, und als publik wurde, dass Großfürst Dmitri an dem Mord beteiligt war, wurden in den Kirchen Kerzen vor der Ikone des heiligen Demetrius aufgestellt. Doch im Februar änderte sich die Stimmung. Rasputin, der Held zahlloser Spottverse und Karikaturen, der üble Wüstling und Trinker, das Oberhaupt einer »Clique«, die Verkörperung der »dunklen Mächte«, avancierte zum edlen Märtyrer, zum Kämpfer für das Recht des Volkes. Nun hieß es, die Feinde des Volkes hätten ihn getötet, weil er ein einfacher sibirischer Bauer war und das Volk gegen den Zaren und die Würdenträger verteidigt habe.
Am 29. Januar begann in Petrograd eine Alliiertenkonferenz. Hohe Vertreter Frankreichs, Englands und Italiens, begleitet von Delegationen aus Militärs und Zivilpersonen, berieten auf höchster Ebene und erarbeiteten ein gemeinsames Programm zur Beschleunigung des Sieges. Die westlichen Diplomaten erörterten eifrig Russlands Innenpolitik und äußerten ihre Prognosen.
Die einen glaubten, die Zarenmonarchie werde bald durch einen Volksaufstand gestürzt und durch eine konstitutionelle demokratische Ordnung ersetzt werden, wie es das Programm der konstitutionellen Demokraten vorsah. Es würde womöglich zu einem unerheblichen Blutvergießen kommen, aber die neue Ordnung würde sich rasch und schmerzlos durchsetzen.
Andere dagegen behaupteten, der Fall des Zarismus würde Russland in die Anarchie stürzen, in Chaos und Untergang. Russland würde sich im eigenen Blut ertränken, von der Großmacht würden nur Ruinen bleiben.
Doch in einem waren sich alle einig: Die Revolution war unausweichlich. Am 23. Februar endete die Konferenz. Am nächsten Tag begann die Revolution.
Den ganzen Winter herrschte grimmiger Frost, bisweilen unter vierzig Grad. Lokomotivschornsteine platzten, Hunderte Lokomotiven wurden unbrauchbar. Die Arbeiter streikten, niemand reparierte die Loks. In der letzten Februarwoche fiel sehr viel Schnee. Es fehlte an Schaufeln und an Händen, um die Bahngleise zu säubern. In Petrograd verwandelten sich die Schlangen vor den Brotläden spontan in Kundgebungen, die Menschen schrien Losungen, sangen die Marseillaise. Sie stürmten Bäckerläden, schwenkten rote Fahnen und riefen »Es lebe die Republik!«. Soldaten und Kosaken verbrüderten sich mit der rebellierenden Menge, verjagten die Polizei und schossen auf die Gendarmen.
Am 28. Februar war Petrograd rot von Fahnen und Bränden, schwarz von der Menge und von Ruß. Polizeireviere brannten, auch die Gebäude von Gericht und Geheimpolizei. Gefängnistore wurden geöffnet, Kriminelle kamen frei, Orchester spielten die Marseillaise.
In Moskau war es vorerst ruhiger.
Am Morgen des 5. März, einem Montag, bereitete Professor Sweschnikow eine Operation vor – dem Feldwebel Jermolajew sollte ein Granatsplitter aus dem Oberarmknochen entfernt werden. Das Konsilium war zu dem Schluss gekommen, dass der Arm nicht zu retten sei und amputiert werden müsse.
»Dann tötet mich lieber! Ich habe fünf Kinder, eine kranke Frau und eine alte Mutter, ich bin der einzige Ernährer, ohnemeinen rechten
Weitere Kostenlose Bücher