Bis in alle Ewigkeit
für Sofja gegeben, bei der Trauerfeier. Erinnerst du dich?«
»Sofja ist dreißig, und du bist sechzig!«, blaffte er so laut, dass die Katze sich im Schlafzimmer unterm Bett verkroch. »Geh, nimm die Tropfen! Ich sammle alles auf.«
Kira ging in die Küche, den Kopf eingezogen, und knurrte gekränkt vor sich hin: »Nicht sechzig, sondern achtundfünfzig, und überhaupt, was spielt das für eine Rolle? Beruhigungsmittel ist Beruhigungsmittel. Warum brüllt er da so?«
Aber sie war an die ungerechten Ausbrüche ihres Mannes gewöhnt, nahm ihm nichts übel und half ihm ohne weitere Fragen beim Packen.
»Nimm einen Schirm mit, in Kopenhagen regnet es immer.«
»Weiß ich selber!«
»Ach ja, du wolltest mit mir noch einen Pelzmantel kaufen gehen, ich habe endlich gefunden, was ich suche, und da gibt es jetzt sehr schöne Preisnachlässe.«
Melnik hielt plötzlich inne, drehte sich abrupt um, sah seine Frau an, schwieg eine Weile und sagte dann sanft und schuldbewusst: »Kirotschka, verzeih mir, mit dem Pelzmantel musst du noch warten.«
»Aber Boris! Was soll das heißen?«, fragte sie erschrocken. »Noch warten? Es ist schon Winter, und ich habe nichts anzuziehen. Mein Lammfellmantel ist ganz speckig und abgewetzt, darin kann ich nur noch den Müll rausbringen. Wir haben doch zwei Jahre gespart.«
»Verzeih mir«, wiederholte er, »aber ich musste das Geld nehmen. Es ist nämlich so, ich muss diese Reise selbst bezahlen. Die Tickets, das Hotel. Aber sei bitte nicht traurig, ich bekomme alles erstattet, und wenn ich zurück bin, kaufen wir dir einen Pelzmantel, hundertmal schöner und ohne Preisnachlass.«
Kira traute ihren Ohren nicht, rannte in die Küche, stieg auf einen Hocker und langte nach einer großen Blechbüchse. Dort müsste, unter Buchweizen verborgen, das kostbare Bündel Scheine liegen. Aber Kira fand nichts als Buchweizen, ließ die Büchse fallen und wäre fast vom Hocker gestürzt. Boris hielt sie fest, half ihr herunterzusteigen, griff wortlos zum Besen und fegte den Buchweizen auf.
Sie hätte am liebsten geweint. Aber er trat zu ihr, umarmte und küsste sie und streichelte ihr zärtlich den Rücken. Das war in den letzten Jahren so selten vorgekommen, dass sie sich vor Verblüffung sofort beruhigte.
Moskau 1917
Richtiger Hunger herrschte noch nicht, doch die Lebensmittelversorgung in Moskau und in ganz Russland wurde von Tag zu Tag schlechter. Die Preise stiegen ins Unermessliche. Die Geldscheine, so groß wie Zeitungsseiten, die sogenannten »Kerenki«, waren nichts wert.
Ende August hatten die Ereignisse eine so stürmische Entwicklung genommen, dass man kaum mitkam. Zeitungen erschienen unregelmäßig. Die Informationen darin waren widersprüchlich, die gesamte Tätigkeit der Regierung schien absurd, wie in einem Alptraum. Ministerposten flogen hin und her wie Fußbälle, und Spielfeld war ganz Russland.
Sweschnikow erfuhr die Neuigkeiten regelmäßig von Rechtsanwalt Brjanzew, der inzwischen Mitglied der Moskauer Duma war, und von Ljubow Sharskaja, die ein Unterkomitee »kreativer Frauen« in irgendeinem Bund oder einem Block leitete.
»Die Provisorische Regierung hat sich überlebt«, sagte Brjanzew, »sie muss weg von der politischen Bühne. Man muss sie von diesen verwegenen Bolschewiki stürzen lassen.«
»Damit sie die Macht übernehmen?«, fragte der Professor.
»Aber Michail«, Brjanzew lachte, »die werden sich keinen Tag halten können. Eine Handvoll verrückter Fanatiker und Banditen kann Russland nicht regieren. Wie kommst du mit deinem Professorenkopf nur auf so aberwitzige Ideen?«
»Versteh doch, Michail, sie sind nur ein Werkzeug, ein deutscher Knüppel«, unterstützte Ljubow Sharskaja den ehemaligen Anwalt. »In klugen Händen wird er den Weg freiräumen für diejenigen, die tatsächlich fähig sind, in Russland für Ordnung zu sorgen.«
»Einstweilen zertrümmert dieser deutsche Knüppel mit Erfolg die russische Armee und die Reste des Staates und machtaus unseren Soldaten blutrünstige Monster«, entgegnete Sweschnikow. »Wer bitte ist denn fähig, für Ordnung zu sorgen? Wer kann sich gegen dieses Tier behaupten?«
Brjanzew und Sharskaja überschütteten ihn um die Wette mit schönen Worten und Sprüchen wie »es ist noch nicht alles Pulver verschossen«, nannten aber keinen einzigen konkreten Namen.
Wenn die Gäste fort waren, setzte sich Sweschnikow ins Kinderzimmer zu Andrej und las ihm Puschkin-Erzählungen vor. Dann ging er zu Tanja.
Der Oberst war
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