Bis in alle Ewigkeit
Der Professor schaute genauer hin und erstarrte. Agapkin stand neben ihm, atmete schwer und biss sich auf die Lippen. Sein Finger lag auf der Halsschlagader des Tieres. Es hatte schon lange keinen Puls mehr. Das Herz des grauen Weibchens war stehengeblieben, aber das bemerkte Sweschnikow nicht.
»Schauen Sie«, sagte der Professor und ließ Agapkin ans Mikroskop.
Die Zysten platzten auf. Aus ihnen kamen sehr langsam weißliche Geschöpfe gekrochen. Unter starker Vergrößerung waren rundliche, im Verhältnis zum Körper relativ große Köpfe zu erkennen. Agapkin erkannte das abgeplattete Vorderteil, das aussah wie ein hässliches, nasenloses Gesicht mit dunklen Augenhöhlen und einem horizontalen beweglichen Auswuchs, einer Art Mund.
Es waren höchstens ein Dutzend Geschöpfe. Fünf waren tot. Sie waren vor der Operation geschlüpft. Vier weitere schlüpften vor ihren Augen. Anfangs bewegten sie sich recht flott, dann wurden sie still. Übrig blieben drei. Sie waren größer und aktiver als die anderen. Sie wanden sich geschmeidig, richteten sich vertikal auf, schlangen sich umeinander und trennten sich wieder – es sah aus wie eine Art unheimlicher ritueller Tanz.
Der Professor berührte Agapkins Schulter und schob ihn vom Mikroskop. Agapkin konnte nur mit Mühe das Gleichgewicht halten. Er fühlte sich, als hätte er vierzig Grad Fieber. Sein Herz hämmerte schmerzhaft, brennender Schweiß rann ihm in die Augen.
»Sie verenden«, hörte er den Professor sagen, »wir entnehmen sofort die Drüse. Nährlösung! Objektträger! Sind Sie eingeschlafen? Fjodor, was ist los mit Ihnen?«
»Nichts. Alles in Ordnung. Vermutlich eine kleine Erkältung. Es hat geregnet, ich habe mir nasse Füße geholt. Und dann der Anblick des Wurms … Ich habe mir plötzlich vorgestellt, dass das alles womöglich … Nein, lieber nicht daran denken.«
Das hatte Agapkin hastig und heiser gemurmelt. Der Professor legte ihm die Hand auf die Stirn.
»Fieber haben Sie nicht. Sie sind neuerdings empfindlich wie ein Fräulein. Das Geschöpf sieht in der Tat abscheulich aus, doch ich habe es schon einmal gesehen und mich fast daran gewöhnt, aber für Sie ist es ja das erste Mal. Ist Ihnen schlecht geworden, weil Sie Angst um Ossja bekommen haben?«
»Ja«, hauchte Agapkin, »ich habe mir vorgestellt, dass das alles jeden Augenblick in seinem Gehirn passieren kann.«
»Ich denke auch ständig an ihn. Aber glauben Sie mir, mit Ossja ist alles in Ordnung. Wenn ihm etwas passiert wäre, hätte Natascha mir sofort telegrafiert. Vorsichtig, Sie lassen das Glas gleich fallen. Stellen Sie es hierher und legen Sie die Spritzen bereit. Wir können noch drei Ratten eine Injektion geben. Holen Sie zwei alte und ein junges Exemplar.«
Unten im Esszimmer schlug die Uhr ein Uhr nachts. Es klingelte an der Tür.
»Bringen Sie es allein zu Ende. Ich bin gleich wieder da.« Sweschnikow verließ das Labor, lief so schnell den Flur entlang, dass er beinahe gestürzt wäre, und erreichte die Tür gleichzeitig mit dem verschlafenen Dienstmädchen Klawdija.
Auf der Schwelle stand Brjanzew.
»Entschuldige, dass ich dich geweckt habe. Ich komme gerade von der Sitzung, ich musste einfach bei dir vorbeischauen. Es gibt sehr wichtige Neuigkeiten. Das musst du wissen. Gehen wir ins Wohnzimmer, ich brauche unbedingt einen Tee.«
Unwillig knurrend nahm das Dienstmädchen Brjanzew Hut und Mantel ab und ging den Samowar aufsetzen.
»Sag vorerst Tanja nichts, wahrscheinlich ist es nur ein Missverständnis, eine Verwechslung, und bald wird sich das Ganze aufklären«, sagte Brjanzew und ließ sich in einen Sessel fallen. »General Kornilow wurde zum Meuterer und Verräter erklärt. Gib mir eine Papirossa.«
Sweschnikow reichte ihm Zigarettenetui und Streichhölzer. Brjanzew zündete sich eine an und stieß ein Rauchwölkchen aus.
»Also, hör zu. Ein gewisser Wladimir Lwow, einer der selbsternannten verrückten Retter des Vaterlands, ist bei Kerenski aufgetaucht und hat erklärt, Kornilow wolle die ganze Macht an sich reißen, militärische wie zivile, und ihn ablösen, wenn nicht gar aufhängen. Kerenski glaubte ihm, bekam einen Schreck, schickte Kornilow ein Telegramm, er sei entlassen, und verlangte, das dritte Reiterkorps unter General Krymow abzuberufen. Aber das war bereits unmöglich. Das Korps rückte auf Petrograd vor, die Verbindung war abgerissen. Kerenski tobte. Er versuchte, statt Kornilow erst General Lukomski zum Oberkommandierenden zu ernennen,
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