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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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ist unmöglich.«
    »Wie bitte?«, fragte Subow erstaunt.
    »Nichts.«
    Sofja wurde rot. Sie hatte unversehens laut gesprochen. Sie nahm ihr Buch heraus und schlug es dort auf, wo ihr Lesezeichen lag.
    »Das Problem der Lebensverlängerung interessierte die Leitung des stalinschen ZK außerordentlich. Für die Forschung daran wurden keine Mittel gescheut. Wir verfügen nur über lückenhafte, zufällige Informationen über den Inhalt dieser Forschungen. Auch die Ergebnisse der Expedition in die Bergregionen von Abchasien 1932–35 unter Leitung von Professor Bogomolzew, Professorin Petrowa und Akademiemitglied Krutilin wurden nie veröffentlicht. Material darüber wurde bis heute nicht gefunden. Bekannt ist jedoch, dass die Expedition das Phänomen der abchasischen Hundertjährigen erforschen sollte.
    Die erste Welle der Ärzteprozesse 1936/37 fällt in der gigantischen Masse der politischen Repressalien jener Jahre nicht sonderlich auf. Doch ein Grund für die meisten Verhaftungen von Medizinern und Biologen waren enttäuschte Hoffnungen. Die alternden Mitglieder der Regierung, auch Stalin selbst, erwarteten von den Wissenschaftlern in nächster Zukunft ein Elixier der ewigen Jugend. Neue Methoden wurden entwickelt, zahlreiche Versuche durchgeführt, nicht nur an Tieren.
    Das Laboratorium bekam Dutzende, Hunderte zur Erschießung verurteilte Männer, Frauen und Jugendliche geliefert.«
    Zwischen den Rückenlehnen der Sitze vor ihnen tauchte ein schokoladebeschmiertes Kindergesicht auf. Ein etwa fünfjähriges Mädchen zeigte Sofja seine braune Zunge, kicherte und versteckte sich.
    »1936 beging der Leiter des geheimen Laboratoriums für Zelltherapie A. L. Nikonow Selbstmord. Er stürzte sich aus dem Fenster seines Büros, ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen.«
    »Katja, hör auf rumzuhampeln«, sagte eine strenge Stimme, »sitz still und schau aus dem Fenster.«
    Doch das Mädchen blickte wieder Sofja an.
    »Ich kann meine Zunge zusammenrollen. Kuck mal!«
    »Toll!«, sagte Sofja. »Das kann ich nicht.«
    »Versuch’s doch mal. Soll ich’s dir beibringen? Wenn deine Zunge dafür geeignet ist. Zeig her!«
    »Katja, lass die Tante in Ruhe!« Eine ältere Dame schaute zwischen den Sitzen hervor zu Sofja. »Entschuldigen Sie bitte.«
    »Nicht doch, alles in Ordnung.« Sofja lächelte.
    »Was liest du denn da?«, fragte das Mädchen.
    »Katja!«, rief die Dame drohend, und das Kind zog sich zurück.
    »Das Laboratorium wurde von GPU-Major F. F. Agapkin betreut, er hatte Medizin studiert und vor der Revolution als Assistent bei Professor M. W. Sweschnikow gearbeitet. Nach Nikonows Selbstmord wurde ein Mitarbeiter des Laboratoriums nach dem anderen verhaftet. 1938 wurden sie alle erschossen, vom habilitierten Doktor bis zum letzten Laboranten. Es sind keinerlei Dokumente erhalten. Major Agapkin wurde versetzt, über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.«
    Das Flugzeug hob weich vom Boden ab. Sofja schlug das Buch zu und sah, wie sich Moskau unter ihr entfernte, im Schnee und in den nächtlichen Lichtern verschwand. Irgendwo dortzwischen den schnurgeraden Lichterketten fuhr ihr alter blauer VW die Straße entlang, am Steuer ihre Mutter, daneben Nolik. Dann kamen dunkle Flecke – Felder und Wälder des Moskauer Umlands, dort, auf dem Dolgoprudnenski-Friedhof, befand sich das frische Grab ihres Vaters. Aber wo war er selbst?
    Ein Grab ist etwas Offensichtliches. Ein Hügel, ein Stab mit einem Blechschild; in einem Jahr, wenn sich die Erde gesetzt hatte, konnte man einen Grabstein setzen, eine Marmortafel anbringen.
    »Ich glaube nicht, dass das menschliche Leben in den physiologischen Grenzen der Funktionen des Organismus beginnt und endet. Ich weiß, dass es keinen Tod gibt. Ich habe nicht vor, das irgendwem zu beweisen, und niemand wird mir das Gegenteil beweisen.«
    Die Lichter waren verschwunden. Das Flugzeug war in eine dichte Wolkendecke eingedrungen, und Sofja spürte einen Druck in den Ohren. Sie schloss die Augen, sie wollte das Gesicht ihres Vaters sehen und seine Stimme hören, so deutlich wie in den ersten Tagen nach der Beerdigung. Aber da war nichts, trübes Licht drang durch ihre Lider, und ein fester Klumpen Trauer drückte ihr die Kehle ab.
    Es gab keinen Tod, aber es gab Offenkundiges wie ein Grab und den unerträglichen Schmerz des Verlusts, tiefes, dunkles Leid. Es gab keinen Tod, aber daran zu glauben war schwer, fast unmöglich. Die Suche nach Wegen zur physischen Unsterblichkeit war der

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