Bis in alle Ewigkeit
Seidenschal verband. Er flüsterte ihr ins Ohr: »Weißt du, warum Papa sich verschluckt hat, als er beim Frühstück von Liebe sprach?«
»Weil er vor seiner Rede das Roastbeef nicht richtig durchgekaut hat«, antwortete Tanja lachend.
»Ach was, das Roastbeef! Gestern Abend, als wir beide im Theater waren, hat Oberst Danilow Papa besucht und mit ihm über dich gesprochen.«
»Danilow?« Tanja hickste vor Lachen. »Der grauhaarige Alte, über mich? Was für ein Unsinn!«
»Er hatte die Frechheit, um deine Hand anzuhalten. Ich hab zufällig gehört, wie Marina mit der Kinderfrau darüber getratscht hat.«
»Du hast gelauscht? Du hast das Geschwätz des Personals belauscht?«, zischte Tanja böse.
»Ph, von wegen!« Andrej zog aus Rache den Knoten ganz fest, wobei er auch eine Haarsträhne erwischte. »Die Kinderfrau ist stocktaub, die beiden haben gebrüllt, dass man es in der ganzen Wohnung hörte.«
»He, das tut weh!«, kreischte Tanja.
»Wenn er im Krieg nicht getötet wird, dann fordere ich ihn zum Duell! Auf zehn Schritt. Er schießt besser als ich, er wird mich im Nu umbringen, und das ist dann deine Schuld«, erklärte Andrej, umfasste Tanjas Schultern und drehte sie wie einen Brummkreisel.
»Dummkopf!« Tanja wäre beinahe gefallen; sie stieß ihren Bruder mit einer übertrieben kindlichen Bewegung von sich, befreite die Haarsträhne, wobei sie ihr Haar noch heilloser durcheinanderbrachte, und erstarrte mitten im Salon in vollkommener, samtiger Dunkelheit, die sich rasch mit Gerüchen und Geräuschen füllte. Sie kamen ihr intensiver und bedeutsamer vor als im normalen, sehenden Leben.
Er hat es gewagt. Er ist verrückt geworden. Er könnte im Krieg getötet werden. Seine Frau! Was zum Teufel wäre ich für eine Ehefrau?, dachte Tanja, während sie in die warme Luft im Salon tastete und schnupperte.
Ihre Nasenflügel bebten, in der Finsternis vor ihren Augen tanzten bunte Kreise.
Durch die hohe Stimme vom Grammophon und das trockene Knacken der Nadel hindurch hörte Tanja die alte Kinderfrau im Samtsessel deutlich schnaufen und nahm wahr, dass sie nach Vanillezwieback roch. Von links, aus dem Anrichtezimmer, drangen Geschirrklappern und der aufdringliche Geruch nach Nelkenrasierwasser. Damit übergoss sich der Diener Stjopa jeden Morgen. Aus dem Arbeitszimmer des Vaters wehte ein weicher Honiggeruch nach Zigarre. Tanja tat ein paar unsichere Schritte ins Ungewisse. Sie hörte Andrejs gespieltes Lachen und einen kunstvollen Pfiff von Wolodja. Plötzlich umfing sie einetrockene Hitze. Sie fürchtete, gleich gegen den Ofen zu prallen, doch da stieß sie auf etwas Großes, Warmes, Raues.
»Tanja«, murmelte Oberst Danilow. »Tanetschka.«
Mehr brachte er nicht heraus. Er war gerade erst in den Salon gekommen und sofort mit der »blinden« Tanja zusammengestoßen. Sie umarmten sich – eher unabsichtlich, linkisch, und erstarrten. Sie spürte, wie schnell sein Herz schlug. Er berührte mit den Lippen ihren Kopf, die schmale, weiße Linie ihres Scheitels.
Tanja stieß Danilow von sich, riss sich die schwarze Augenbinde ab und versuchte, ihr Haar zu entwirren.
»Nun helfen Sie mir doch, Pawel Nikolajewitsch!« Ihre Stimme kam ihr selbst unangenehm schrill vor.
Dem Oberst zitterten ein wenig die Hände, als er die Haarsträhnen aus dem Knoten befreite. Tanja verspürte den Wunsch, ihn zu schlagen und zu küssen, wünschte sich, dass er augenblicklich verschwand und dass er nie wieder fortging. Endlich konnte sie wieder sehen. Er stand vor ihr, den schwarzen Schal in den Händen knautschend. Sie spürte, dass ihre Wangen glühten.
Als sie Oberst Danilow alt und grau genannt hatte, war sie unaufrichtig gewesen, vor allem sich selbst gegenüber. Danilow war siebenunddreißig. Er war nicht sehr groß, kräftig gebaut, hatte wasserhelle Augen und war an der Front ergraut, im japanischen Krieg. Tanja träumte fast jede Nacht von ihm. Es waren ganz und gar unschickliche Träume. Sie ärgerte sich darüber, und wenn sie sich begegneten, fürchtete sie sich, ihm in die Augen zu schauen, als wäre zwischen ihnen tatsächlich bereits jenes Beschämende, Heiße, Unheimliche geschehen, wovon sie seit über einem Jahr mitten in der Nacht aufwachte, dann gierig Wasser trank und zum Spiegel lief, um sich im schwachen Licht der Straßenlampe, das ins Schlafzimmerfenster fiel, im Spiegel zu betrachten.
In den ersten Unterrichtsstunden im Gymnasium gähnte Tanja, blinzelte und kaute an ihrem langen hellen Zopf. Dann
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