Bis in alle Ewigkeit
zweitausend Euro. Wenn ich nicht irre, hat meine Reise so viel gekostet.«
»Hören Sie auf, Dmitri Nikolajewitsch! Das geht zu weit! Ich werde dieses Geld nicht nehmen, es gehört gar nicht mir! Warum tun Sie das?«
»Ich möchte niemandem etwas schuldig sein, weder Ihnen noch demjenigen, der hinter Ihnen steht.«
»Dmitri Nikolajewitsch, womit habe ich Sie gekränkt? Ich habe Ihnen geholfen, Ihren leiblichen Vater wiederzusehen. Ja, ich weiß, das alles ist nicht leicht. Sie haben ein ganzes Leben getrennt verbracht, Sie haben unterschiedliche Ansichten, aber spielt das denn eine so große Rolle? Sie haben sich getroffen, das ist die Hauptsache. Besser spät als nie.«
»Sie haben mich von Anfang an belogen. Sie haben gesagt, meine Reise würde von einer Stiftung für Menschen bezahlt, die im Zweiten Weltkrieg ihre Angehörigen verloren haben. Sie haben sich als Mitarbeiter dieser Stiftung ausgegeben. Bittenehmen Sie das Geld. Und noch das hier – mein Anteil für das Essen.«
Colt hörte, wie ein Stuhl gerückt wurde und es leise polterte. Die letzte Aufzeichnung mit Dmitri Lukjanows Stimme brach ab.
Moskau 1917
Am Abend, als die Schießereien verstummt waren, wagte sich Agapkin aus dem Haus. Er musste in die Bolschaja Nikitskaja.
Die menschenleeren Straßen waren voller Glasscherben und Müll. Die Laternen brannten nicht, hinter den Fenstern flackerte das trübe Licht von Kerzen und Petroleumlampen. Wie schwarze Löcher gähnten die zerschlagenen Schaufensterscheiben. An den Patriarchenteichen saß eine einsame Gestalt auf einer Bank. Genau hier hatte sich Agapkin das letzte Mal mit einem Kurier des Meisters getroffen. Womöglich war er das? Er trat zu ihm, sprach ihn leise an, bekam aber keine Antwort. Agapkin zündete ein Streichholz an.
Es war tatsächlich der Kurier von neulich, ausgezogen bis auf die Unterwäsche und ohne Schuhe. Tot. Auf seinem Schoß lag ein aufgeschlagenes Buch, eine billige Bibelausgabe. Das Papier war durchnässt. Aber es hatte weder geregnet noch geschneit. Die Streichholzflamme fiel auf die Seiten voller dunkler gelber Flecke. Uringeruch traf Agapkins Nase.
Mit raschen Schritten, ohne sich umzudrehen, ging Agapkin davon.
Die Fenster des Hauses in der Nikitskaja waren dunkel. Die Klingel am Hauseingang funktionierte nicht. Agapkin klopfte vorsichtig wie vereinbart, lauschte in die Stille, wartete eine Weile und wollte schon gehen, als die Tür geöffnet wurde. ElektrischesLicht blendete ihn. Jemand griff nach seinem Arm und zog ihn ins Haus, dann schlug die Tür zu.
Im Flur war es hell und warm. An der Garderobe hing eine Traube teurer Pelzmäntel und Offiziersmäntel ohne Schulterstücke. Ein unbekannter junger Mann in einer gegürteten Soldatenbluse, Reithosen und Stiefeln führte Agapkin wortlos ins Wohnzimmer, wies auf einen Sessel und verschwand wieder.
Die dichten Vorhänge ließen die Fenster draußen dunkel erscheinen. Tatsächlich brannte im ganzen Haus Licht, auch die Dampfheizung war in Betrieb. Auf einem kleinen Tisch stand eine Schale mit groben Stücken dunkler Schokolade, Birnen und Äpfeln. In einem Zeitungsständer lagen die neuesten Nummern der bolschewistischen Zeitungen »Iswestija« und »Prawda«.
Der Meister erschien völlig lautlos, er war durch eine Tür hinter Agapkin eingetreten und hatte vermutlich eine Weile schweigend dagestanden und ihn beobachtet. Agapkin spürte seinen Blick und den vertrauten Geruch nach Tabak und Parfüm.
»Disciple, nehmen Sie von dem Obst, genieren Sie sich nicht. Möchten Sie Kaffee?«
Belkin war ruhig und freundlich, als wäre nichts geschehen. Er hörte Agapkins Bericht schweigend an und sah ihm dabei aufmerksam in die Augen.
»Darf ich mir eine Zeitung nehmen?«, fragte Agapkin.
»Ja, natürlich. Hier, das ist die neueste.«
Es war die Ausgabe der Zeitung »Nowaja shisn« vom selben Tag. Agapkin vergaß alles um sich herum und begann gierig zu lesen, aber der Meister unterbrach ihn.
»Sie müssen sich nicht so beeilen. Sie können sie mitnehmen und zu Hause lesen.« Er räusperte sich. »Es besteht also keinerlei Gefahr mehr für das Leben und die Gesundheit des Professors?«
»Ich hoffe nicht. Aber er hat viel Blut verloren, er braucht stärkende Nahrung, Obst. Außerdem benötigen wir frisches Verbandszeug und Jod, die Apotheken sind geschlossen.«
»Machen Sie sich darum keine Sorgen. Das wird alles geliefert.«
»Tee, Zucker, Brot«, zählte Agapkin hastig auf, »Futter für die Ratten, und die Seife
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