Bis in alle Ewigkeit
Duma-Abgeordneten des autonomen Wudu-Schambala-Kreises und fuhr sogar dorthin, in die Steppen-Einöde im Osten, wo Staubstürme heulten, Herden rotbrauner Pferde frei weideten und Frauen mit bunten Tüchern und flachen runden Gesichtern Pfeife rauchten. Wo immer man ein Loch in die harte Steppenerde bohrte, schoss eine Ölfontäne in den Himmel.
Der agile junge Gouverneur German Jefremowitsch Tamerlanow galt dort als lebendige Inkarnation der alten GottheitYoruba, die Einwohner beteten seine Büste an, die in allen Städten und Dörfern stand. Die Gottheit fuhr im offenen Ferrari über die miserablen Steppenstraßen, spielte Tennis und hielt sich einen Harem aus zwölf Frauen unterschiedlicher Nationalitäten.
Pjotr Colt freundete sich mit der Gottheit an, bekam den Titel Inkarnation des Pfa verliehen, des Bruders von Yoruba, half Yoruba, ein Gestüt aufzubauen und die Herstellung von Decken aus Schafwolle in Gang zu bringen, und kaufte ein paar frisch erschlossene Ölquellen.
In der Steppe wuchs reichlich Kchwedo-Gras, das sehr viel mit Hanf gemein hat, doch Yorubas vorsichtige Vorschläge, ein gemeinsames Geschäft damit aufzubauen, lehnte Colt höflich ab.
Die zweite Hälfte der Neunziger hindurch wurde Colt in diverse Ämter gewählt, ausgezeichnet, beglückwünscht, mit Vollmachten und Immunitätsgarantien ausgestattet. Er lächelte, drückte Hände, hielt Reden, lancierte als Lobbyist Duma-Gesetze, trat in Fernsehdebatten auf und bedauerte nur eines: dass der Tag nur vierundzwanzig Stunden hatte.
Er wurde ausgeraubt und erpresst, man versuchte ihn zu verleumden, zu verhaften und zu töten. Doch auch das nützte ihm. Er gewann an Erfahrung, seine Intuition schärfte sich, und er empfand nun noch tiefer und deutlicher, wie schön das Leben war.
Das einundzwanzigste Jahrhundert begrüßte Colt in den französischen Alpen, im Skiort Courchevel, im besten Restaurant am Platz, in dem die Kellner längst russisch sprachen.
Die Party tobte die ganze Nacht. Am Himmel flammte ein buntes Feuerwerk auf, dressierte Bären mit Fliege um den Hals trugen Kristallschalen mit schwarzem Kaviar herum, die Gäste begossen einander mit Champagner. Musik dröhnte, alle warenbetrunken – Oligarchen, Politiker, Showstars und Models. Jemand kletterte auf die Bühne, um einen Toast auszubringen, ein anderer auf einen Tisch, um einen Bauchtanz vorzuführen.
Es war lustig, genau wie vor einem Jahr, vor zwei und vor drei Jahren. Colt liebte solche Vergnügungen. Er entspannte sich, lachte über die Witze anderer, scherzte selbst, trank viel, ohne sich zu betrinken, suchte sich hin und wieder ein neues Mädchen aus, bahnte manchmal sogar seriöse Geschäfte an.
Doch in dieser Silvesternacht überkam Colt plötzlich Langeweile. Inmitten der allgemeinen Verrücktheit wurde er traurig. Das geschah auf der Toilette. Die Beleuchtung dort war zu grell. Er wusch sich die Hände, schaute in sein Gesicht und dachte daran, dass er neunundfünfzig war. Das siebte Jahrzehnt nahte. Er war der Älteste hier im Restaurant. Er war müde, er hatte Herzschmerzen. Soeben war ein Jahrhundert angebrochen, in dem er vielleicht noch zehn Jahre zu leben hatte, nicht mehr.
Natürlich waren ihm solche Gedanken auch früher schon gekommen. Er dachte viel und oft an den Tod, aber ganz anders. Eine Kugel, eine Bombe, ein gut inszenierter Unfall. Ein solcher Tod war sein ständiger Begleiter, Gegenüber, Geschäftspartner, manchmal Freund, manchmal Feind. An ihn war er gewöhnt wie an einen Vertrauten, konnte sich mit ihm einigen, sich von ihm loskaufen, ihn überlisten. Gesunder Menschenverstand, Intuition, Geld – das alles besaß er im Überfluss. Doch während der atemberaubenden Jagd der letzten zwanzig Jahre hatte er anscheinend vergessen, dass das Ende auch anders aussehen konnte.
Ein anderer Tod blickte ihm in dieser Silvesternacht aus dem prächtigen Spiegel der Restauranttoilette entgegen – ein natürlicher Tod, von niemandem in Auftrag gegeben, ein Tod, der niemandem nützte, der aber unvermeidlich war, und Colt begriffohne Worte, dass er sich mit ihm nicht würde einigen können. Dieser Tod wollte nichts – weder Geld noch Macht oder Beziehungen.
»Es ist alles eitel«, flüsterte Colt.
Von dieser Nacht an wiederholte er diesen Satz ständig, laut und in Gedanken.
Moskau 1916
Die alte Frau behandelte nicht nur die Wunden ihres Sohnes mit Ysopschimmel, sie flößte ihm diese Scheußlichkeit auch löffelweise ein. Der Soldat Iwan Karas
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