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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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hatte ich dort verloren? Die Franzosen kommen bestimmt nicht her, wenn es daran geht, mein Dorf Kanawka zu verteidigen.«
    »Es juckt, die Finger jucken so«, wiederholte der Unteroffizier.
    »Schon gut, keine Angst, das geht bald vorbei«, sagte Tanja.
    Der Unteroffizier verzog die ausgetrockneten Lippen, ein stählerner Schneidezahn blinkte auf.
    »Was geht vorbei? Was? Wächst mir eine neue Hand?«
    »Es heißt, Doktor Sweschnikow macht solche Experimente, dass dem Menschen Arme und Beine wieder wachsen, wie der Schwanz bei einer Eidechse«, sagte der Beinlose laut.
    »Das sind Märchen«, sagte Tanja und spürte, dass sie rot wurde. »Professor Sweschnikow macht keine solchen Experimente.«
    »Woher willst du das wissen, Fräulein?«, fragte ein junger Soldat neben dem Unteroffizier dumpf. Sein ganzer Kopf war verbunden. Nur der Mund schaute heraus. Ein Schrapnell hatte sein Gesicht getroffen, er hatte Augen und Nase verloren.
    Der Beinlose unterbrach seine Übungen, es wurde still im Krankensaal.
    »Ich weiß es.« Tanja blickte verwirrt um sich. »Ich weiß es, weil der Mensch nun mal kein Salamander ist!«
    »Wenn man die Haare abschneidet, wachsen sie nach. Auch der Bart wächst nach und die Nägel, sogar bei einem Toten«, sagte fröhlich ein weiterer Beinloser in einem Bett am Fenster. »Auch die Haut an einer verletzten Stelle wächst nach. Warum sollte nicht auch ein ganzes Bein oder ein Arm nachwachsen?«
    »Wenn Kindern die Milchzähne ausgefallen sind, kommen neue raus«, unterstützte der Unteroffizier den Beinlosen.
    »Das ist etwas ganz anderes. Die Ansätze für die späteren Zähne sind schon vorher da«, erklärte Tanja, »und Haare und Nägel bestehen aus ganz besonderen Zellen, aus Hornzellen. Und neue Haut wächst nur auf kleinen beschädigten Stellen nach, das nennt man Geweberegeneration, doch wenn ein beträchtlicher Teil der Hautfläche betroffen ist, schafft der Organismus das nicht.«
    Der Krankensaal hörte schweigend zu. Die Verwundeten sahen Tanja an. Selbst der Mann ohne Augen schien sie anzublicken. Tanja bekam ein schlechtes Gewissen. Ihr munterer, herablassender Ton kam ihr unaufrichtig vor.
    Was nützen ihnen meine wissenschaftlichen Vorträge?, dachte sie. Sie wollen ihre lebendigen Arme, Beine und Augen wiederhaben oder wenigstens an das Unmögliche glauben.
    »Cosmas und Damian, die heiligen Märtyrer, haben einem Toten ein Bein abgesägt, es einem Lebenden angenäht, gebetet, und das Bein ist angewachsen. Der Mann konnte wieder laufen, das Bein war wie sein eigenes, nur dass es schwarz war, der Tote war nämlich Afrikaner, er selber aber war weiß«, teilte der Beinlose laut mit und rief Tanja zu sich. »Komm, meine Schöne, hilf mir. Ich muss mal.«
    Am Fußende seines Bettes las Tanja: »Iwan Karas 3 , geb. 1867, Soldat …«
    »Einen interessanten Namen haben Sie«, sagte sie lächelnd und zog die Emaille-Ente unterm Bett hervor.
    »Ein schöner Name, ich beklag mich nicht. Die Karausche ist ein nützlicher Fisch. Komm, hilf mir, oder nein, ruf lieber die alte Nonne, ich bin schwer.«
    »Das macht nichts.« Tanja gab sich Mühe, bei dem Gestank, der ihr unter der Bettdecke des Soldaten entgegenschlug, nicht das Gesicht zu verziehen.
    Iwan Karas war ganz nass. Offenbar hatte er es nicht anhalten können und es nicht gemerkt.
    Handschuhe, dachte Tanja erschrocken, Papa hat gesagt, das macht man nur mit Handschuhen …
    Aber sie konnte nicht mehr weg. Es war ihr peinlich, sich vor dem Soldaten zu ekeln und die füllige, asthmatische Mutter
    Arina zu holen, die sich eben erst im Schwesternzimmer hingelegt hatte.
    »Meine Jüngste, die Dunjascha, die sieht dir ähnlich«, sagte der Soldat, »genauso blaue Augen, genauso flink. Dienstmädchen ist sie, in Samara, beim Kaufmann Ryndin. Es geht ihr nicht schlecht, es sind anständige Menschen, ehrliche Bezahlung, und zu jedem Feiertag ein kleines Geschenk. Sinka, meine Älteste, die ist auch Städterin geworden, hat Modistin gelernt. Die Söhne sind beide an der Front. Ach ja, mein Muttchen ist aus dem Dorf gekommen, sie wohnt bei der Schwiegertochter auf der Presnja, die würd ich gern noch einmal sehen. Und jemand sollte nach einem Priester schicken, für die letzte Ölung. Ich werde wohl heute Nacht sterben. Gott sitzt im Himmel, die Spinne in der Stube, und der Soldat fährt in die Grube.«
    Tanja ließ beinahe die Ente fallen. Der Beinlose sprach ganz ruhig und vernünftig, seine Lippen lächelten. Erst jetzt bemerkte Tanja,

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