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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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dass er am ganzen Körper glühte und dass an den Stümpfen Blut durch die Verbände sickerte.
    »Warten Sie, mein Lieber, ich bin gleich zurück«. Sie rannte hinaus.
    Zwei Stunden zuvor war eine neue Partie Verwundeter eingetroffen, alle Ärzte waren beschäftigt. Sweschnikow war bei einer dringenden Operation und daher unabkömmlich. Zu Iwan Karas kam der junge Chirurg Potapenko mit einem Feldscher und zwei Schwestern.
    »Es sieht schlecht aus. Eine eitrige Entzündung beider Stümpfe, kurz vorm Wundbrand, und weiter amputieren können wir nicht«, sagte Potapenko.
    Die Verbände wurden abgenommen, die Wunden gereinigt, doch gegen das Fieber waren sie machtlos. Ein Geistlicher erschien. Lange beichtete Karas leise. Der Diakon sprach ein Gebet. Der Weihrauchgeruch wirkte beruhigend und einschläfernd.Zum ersten Mal seit Tagen verspürte Tanja die animalische Müdigkeit ohne jeden Gedanken, ohne stockendes Herz und Kloß im Hals, nach der sie sich lange gesehnt hatte.
    Es war ihre dritte Nacht im Lazarett. Ihr Vater hatte sie davon abbringen wollen, doch sie hatte nicht auf ihn gehört. Sie konnte sowieso nicht schlafen, seit Beginn des Großen Fastens befand sie sich in einem Zustand ständiger fieberhafter Erregung. Sie wollte tätig sein, Schwierigkeiten überwinden, Menschen retten.
    Mitte März war ein kurzer Brief von Oberst Danilow gekommen. Ein dicker junger Leutnant hatte ihn überbracht. Danilow schrieb, er sei am Leben, fühle sich wegen der vom Frühjahrsmatsch aufgeweichten Straßen wie eine Sumpfkröte und träume von drei Dingen: Tanja wiederzusehen, sich auszuschlafen und gute Musik zu hören. Zu Ostern hoffe er Urlaub zu bekommen, aber sie sollten sich nicht zu früh freuen.
    »Tanja! Richten Sie Michail Wladimirowitsch aus, dass seine Vermutungen hinsichtlich der Kälte richtig sind. Im Februar haben die Verwundeten, die draußen an der frischen Luft gelassen wurden, weniger Blut verloren und überlebt.«
    Der Leutnant hatte es sehr eilig, wollte nicht einmal einen Tee. Tanja verfasste in seinem Beisein eine Antwort. Die erste Variante zerriss sie, die zweite ebenfalls. Der Leutnant spielte mit den Fransen der Tischdecke, wippte mit dem Fuß und schaute ständig auf die Uhr. Schließlich hatte sie Folgendes geschrieben:
    »Pawel Nikolajewitsch! Ohne Sie fühle ich mich einsam und leer. Bitte kommen Sie bald zurück. Ich weiß, das hängt nicht von Ihnen ab. Jeden Abend von acht bis neun werde ich für Sie Chopin und Schubert spielen. Denken Sie um diese Zeit an mich und stellen Sie sich vor, Sie würden die Musik hören. Papa ist gerade im Lazarett, und Ihr Leutnant kann nicht warten.Er sitzt neben mir, wippt mit dem Fuß und macht mich nervös. Ihre T. S.«
    »Na bitte! Da erübrigen sich theoretische Beweise!«, sagte Sweschnikow, als Tanja ihm Danilows Brief zeigte. »Bei Kälte verbraucht das Gehirn weniger Sauerstoff, die Gefäße verengen sich. Das ist seit alters bekannt. Für Beweise fehlt jetzt die Zeit. Ich würde Pawel Nikolajewitsch gern schreiben, ich habe eine Menge Fragen an ihn. Hat dieser Leutnant eine Adresse dagelassen?«
    »Nein. Aber schreib ihm trotzdem«, riet Tanja, »vielleicht kommt wieder eine Gelegenheit.«
    Nicht einmal sich selbst wagte sie einzugestehen, dass das Warten auf eine solche Gelegenheit, auf eine weitere Nachricht vom Oberst, zum Sinn ihres Lebens geworden war. Abends saß sie von acht bis neun im Salon am Flügel und spielte, selbst wenn niemand zuhörte außer der tauben Kinderfrau.
    Von der Front kamen schlechte Nachrichten. Aber das schien allen egal zu sein. Auf die patriotische Begeisterung im Herbst und Winter 1914 war längst Gleichgültigkeit gefolgt. Im Februar hatte der Generalangriff gegen die Deutschen an der Westfront begonnen. Vor Verdun gab es erbitterte und aussichtslose Gefechte. Die Regierungen Frankreichs und Italiens forderten Unterstützung. Russland erfüllte redlich seine Bündnispflicht.
    Am 18. März 1918 rückten die russischen Truppen in Richtung Westen vor. Bei den Kämpfen an der Düna und bei Wilna fielen 78 000 Menschen. Die Gesellschaft aber interessierte sich mehr für die Gerüchte um Rasputin, für spiritistische Sitzungen und Hypnose-Experimente, aufsehenerregende Strafprozesse und Börsenkurse.
    Am Sonntag schlief Tanja den ganzen Tag. Am Montag ging sie ins Gymnasium, am Abend war sie wieder im Lazarett.
    Der Soldat Iwan Karas lebte noch. Auf einem Stuhl nebenseinem Bett saß eine hutzlige kleine alte Frau. Tanja

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