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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Obst und Gemüse essen, an die frische Luft gehen, mich mit kaltem Wasser waschen und Gymnastik machen.« Plötzlich gähnte Ossja und rieb sich die Augen.
    Als der Professor ihn auf die Liege gebettet hatte und seinen Bauch abtastete, schlief er bereits wie ein Toter. Der Professor deckte ihn mit einem Plaid zu und schloss die Vorhänge.
    »Er ist doch nicht ansteckend?«, fragte flüsternd der alte Feldscher Wassiljew, der die ganze Zeit ebenfalls im Raum gewesen war.
    »Nein.«
    »Aber was ist das? Was hat er, der Ärmste?«
    »Das weiß ich noch nicht. Vielleicht extreme Auszehrung. Aber er redet lebhaft, und sein Verstand ist in Ordnung. Bei einer so schweren Dystrophie müssten psychische Störungen auftreten, Asthenie, Depression, Psychosen.«
    »Tja, mit seinem Kopf ist alles in Ordnung.« Der Feldscher lachte spöttisch. »Ein fixes Kerlchen, fast zu fix. Was er für Märchen erzählt – von einem Aeroplan, von einem Raben. Vielleicht hat er auch geschwindelt, was sein Alter angeht?«
    »Na, wie alt könnte er denn sein, was meinen Sie?«
    Wassiljew ging auf Zehenspitzen zur Liege und betrachteteim trüben Licht Ossjas Gesicht. Im Schlaf ähnelte dieser eher einem Kind als einem Greis. Die Falten waren geglättet, Wangen und Lippen rosig. Sein runder Kopf lag im Schatten, so dass das graue Haar nicht zu sehen war.
    »Ist er wirklich erst elf?«, fragte der Feldscher.
    »Ja. Kaum mehr. Aber sein Körper ist verbraucht wie der eines siebzigjährigen Greises.«
    »Gott erbarm, wie lange hat er denn noch?«
    »Ein Jahr, anderthalb. Das Herz ist schwach. Wenn er aufwacht, geben Sie ihm noch einmal zu essen und viel Warmes, Süßes zu trinken.«
    »Michail Wladimirowitsch, wollen Sie ihn hierbehalten?«
    »Ob ich will oder nicht – er kann doch nirgendwohin.«
    »Aber wir haben keinen Platz, alle Betten sind belegt«, entgegnete der Feldscher, »und wenn Seine Exzellenz das erfährt, wird er dagegen sein.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass er in einen Krankensaal zu den Verwundeten gelegt werden soll. Das ist nicht nötig. Er kann hier übernachten, in meinem Zimmer. Bringen Sie ihm Bettwäsche, ein Kissen, eine Zahnbürste, Seife, ein Handtuch. Und mit Seiner Exzellenz rede ich.«
    Im Foyer entdeckte der Professor seine Tochter. Tanja schlief in einem Sessel in der Ecke.
    Sie gähnte, schüttelte den Kopf, um wach zu werden, und fragte mit heiserer, verschlafener Stimme: »Wo ist Ossja?«
    »Er schläft in meinem Zimmer.«
    »Hast du herausgefunden, was ihm fehlt?«
    »Ich fürchte, ja. Obwohl das ganz unglaublich ist.«
Moskau 2006
    Schlüssel, Handschuhe, Geldbörse. Diese drei Gegenstände kamen Sofja wie verhext vor. Sie verschwanden immer im unpassendsten Moment, wenn sie dringend aus dem Haus musste. Ihr Vater hatte in solchen Fällen gesagt: »Kleiner Kobold hier im Haus, rück die Sachen wieder raus«, und wie durch Zauberei fand sich alles wieder an, als lebte in ihrer Wohnung tatsächlich ein launischer kleiner Hausgeist. Auf ihren Vater hörte er, auf Sofja nicht.
    Sie lief hektisch durch die Zimmer, die Küche, schaute in alle Schränke und Schubladen. Die Handschuhe waren spurlos verschwunden. Blieb nur die Hoffnung, dass sie im Auto lagen. Die Geldbörse fand sich auf einem Bord im Bad. Statt ihrer eigenen Schlüssel nahm sie die ihres Vaters, sie lagen in der Tasche seines Lammfellmantels. Dort entdeckte Sofja auch ein kleines Pappkärtchen: die Visitenkarte des Crowne Plaza Hotels in Sylt-Ost in Deutschland.
    »Sylt, Sylt«, murmelte Sofja vor sich hin, während sie die Treppe hinunterstürmte.
    Ihr alter hellblauer Volkswagen stand auf dem Hof, mit Schnee bedeckt und von drei Seiten hoffnungslos eingekeilt von fremden Autos. Sofja sah auf die Uhr, rannte zur Metro und redete sich ein, dass es besser so sei – jetzt waren überall Staus, da könnte sie anderthalb Stunden feststecken. Mit der Metro war sie in zwanzig Minuten da, außerdem musste sie keinen Parkplatz suchen.
    Auf der Station »Belorusskaja« blieb die Rolltreppe plötzlich stehen. Ein Mann in Tarnjacke fiel schwer gegen Sofja. Er roch nach Alkohol. Sofja griff nach dem Geländer, um nicht auf eine gebrechliche kleine Oma zu fallen. Sie fiel nicht, verstauchte sich aber schmerzhaft die rechte Hand.
    Der Bahnsteig war übervoll.
    »Dieser Zug endet hier, bitte alle aussteigen«, teilte eine Lautsprecherstimme mit.
    Der Schmerz im rechten Ohr hörte nicht auf. Das Fieber hatte Sofja mit Analgin heruntergedrückt. Ihr war leicht

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