Bis in alle Ewigkeit
schwummerig, die Knie zitterten vor Schwäche. Die Menge quoll aus dem Zug, eine mürrische Aufsicht und ein Milizionär liefen rasch durch alle Wagen. Aus dem letzten holten sie einen verschlafenen Mann im Schafpelz. Der Milizionär trug seine gestreifte Tasche, der Mann knurrte und rieb sich mit den Fäusten die Augen. Der leere Zug raste pfeifend davon. Von der Rolltreppe schwappte der nächste Schwung Fahrgäste herab. Sofja wurde immer weiter an die Bahnsteigkante gedrängt, sie beschloss, nicht zu warten, sondern in die Ringlinie umzusteigen und über »Krasnopresnenskaja« bis »Kusnezki most« zu fahren.
Durch ihren Kopf geisterte noch immer das kurze, dumpfe Wort »Sylt«. Es klang wie ein Spechtklopfen.
Auf der Gästekarte standen An- und Abreisedaten. Ihr Vater hatte zehn Tage im Zimmer 23 des Crowne Plaza Hotels auf der kleinen Insel Sylt gewohnt. Er war also nirgendwo sonst in Deutschland gewesen. Er war nach Hamburg geflogen und mit dem Zug über den berühmten Damm auf die Insel gefahren. Warum?
Als sie aus der Metro sprang und über die Straße lief, schrillte in ihrer Tasche das Mobiltelefon.
»Ist alles in Ordnung, Sofja? Haben Sie sich vielleicht verlaufen? Stecken Sie im Stau?«, fragte die Stimme von Valeri Pawlowitsch Kulik.
»Ich bin ganz in der Nähe«, sagte sie ins Telefon, »ich sehe es schon, das Café »Grin«.«
»Ach, Sofja! Sie haben wieder alles verwechselt. Nicht »Grin«,sondern »Grieg«, das ist kein Café, sondern ein Restaurant. Das »Grin« ist ein Imbiss. Legen Sie nicht auf.«
Kulik erklärte ihr Schritt für Schritt den Weg zum Restaurant, bis sie drinnen war.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ein Security-Hüne in einem tadellosen Anzug.
Ringsum Marmor, frische Blumen, Bilder in Goldrahmen, Samtsessel und Spiegel. Riesige, erbarmungslose Spiegel, die jedes Detail genau wiedergaben. Sofjas Lammfellmantel, den sie vor fünf Jahren auf dem Sawjolowo-Markt gekauft hatte, die losen Fäden, wo die Knöpfe fehlten. Die schwarze Hose, die schlecht saß, aber ihre einzige anständige war. Die braunen Stiefel mit den untilgbaren weißen Spuren vom Streusalz auf den winterlichen Moskauer Straßen. Der weiße Pullover war längst fusselig. Sie hätte sich das Haar in Form föhnen und Make-up auflegen müssen. Aber da sie das nie tat, hatte sie auch jetzt nicht daran gedacht. Doch die Spiegel erinnerten sie daran.
Der Portier wollte ihr den Mantel nicht abnehmen. Der Security-Mann telefonierte, tat, als hätte er ihr schüchternes »Ich werde erwartet« nicht gehört und versperrte ihr den Weg. Aus dem Saal kam eine hochgewachsene, umwerfend schöne brünette Frau, malte sich die Lippen an und warf missbilligende Blicke auf Sofja. Vor allem auf die abgewetzten braunen Stiefel zur schwarzen Hose.
Endlich erschien Kulik, groß und weich. Sofja registrierte, dass er sich die restlichen Haare abrasiert hatte und nun absolut kahlköpfig war, zudem ohne Brille, wahrscheinlich trug er Kontaktlinsen. Er war ohne Jackett, ein hellblaues Hemd umspannte straff seinen Bauch. Er glänzte, strahlte, lächelte und fühlte sich hier wie zu Hause.
»Schön, Sie zu sehen, Sofja! Warum sind Sie so blass? Und warum die roten Augen? Ach, verzeihen Sie, Mädchen, verzeihenSie, Sie haben Ihren Vater verloren, mein aufrichtiges Beileid.«
Er nahm ihr den Mantel ab und reichte ihn dem Portier. Der lächelte unterwürfig und empfing das abgetragene Stück aus Kuliks Händen mit einer Ehrfurcht, als handelte es sich um einen Nerz.
Im Saal war das Licht nicht so grell, und Sofja entspannte sich ein wenig. Kulik führte sie ganz nach hinten, wo die Tische in Nischen hinter Samtvorhängen standen.
»Ich werde Ihnen gleich einen sehr wichtigen Mann vorstellen«, flüsterte er, »bemühen Sie sich, ihm zu gefallen.«
Am Tisch saß ein Mann von Mitte vierzig. Seine dünnen blonden Haare waren sorgfältig zurückgekämmt, er wirkte unsympathisch, hochmütig. Derbe Gesichtszüge, wulstige blasse Lippen. Er erhob sich vor Sofja, drückte ihr die Hand, zu fest, so dass ihr die Finger wehtaten, und lächelte. Dieses Lächeln verwandelte ihn auf erstaunliche Weise. Weiße Zähne leuchteten auf, seine Züge wurden weicher, und Sofja sah, dass er strahlendblaue, recht lebhafte Augen hatte.
»Subow«, stellte er sich knapp vor.
»Tja, Iwan Anatoljewitsch, hier bringe ich Ihnen das beste Exemplar«, sagte Kulik und rückte einen Stuhl für Sofja heran.
»Wie geht es Ihnen, Sofja Dmitrijewna?«, fragte
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