Bis in alle Ewigkeit
Subow und musterte sie unverhohlen. »Ich glaube, Sie waren krank?«
»Ja, ein wenig. Aber jetzt bin ich wieder gesund. Danke.« Sofja versteckte sich vor seinem forschenden Blick hinter der Speisekarte.
»Nehmen Sie die Forelle«, empfahl Kulik.
Als die Bestellung aufgegeben und der Kellner gegangen war, fragte Subow: »Sagen Sie, Sofja Dmitrijewna, haben Sie außer den drei Artikeln zur Apoptose, die im Internet stehen, noch mehr über dieses Thema geschrieben?«
»Ihre Dissertation behandelt es, das habe ich Ihnen doch erzählt«, antwortete Kulik für Sofja.
»Was ist Vaskularisation?« Subows tiefe Stimme klang leicht gekränkt.
Sofja zuckte zusammen.
»Iwan Anatoljewitsch ist für die Kader zuständig, er ist kein Biologe, sondern Betriebswirt. Versuchen Sie also bitte ohne unsere spitzfindige Terminologie auszukommen«, erinnerte Kulik sie sanft.
Sofjas Mund war völlig ausgetrocknet. In einem Zug leerte sie ein ganzes Glas Mineralwasser.
»Krebszellen produzieren ein besonderes Eiweiß, Angiogenin, das die Bildung von Kapillaren auslöst, also die Vaskularisation«, erklärte Sofja, »eine Geschwulst zieht sozusagen neue wachsende Gefäße an, ernährt sich durch sie, wird zum untrennbaren Teil des lebenden Organismus, und zwar zu dessen stärkstem und aggressivstem Teil. Bereits Mitte der siebziger Jahre ist es gelungen, die komplette Aminosäuresequenz dieses Eiweißes zu bestimmen, das Gen zu finden, das für seine Synthese zuständig ist. Doch an diesem Punkt gerieten die Forschungen in eine Sackgasse.«
Subow wandte seine strahlendblauen Augen nicht von Sofja. Es war schwer zu sagen, ob er ihr zuhörte oder sie bloß studierte. Seine Augen waren ausdruckslos. Sofja wollte gern glauben, dass er ihr zuhörte. Wozu sonst ließ er sie erzählen? Kulik langweilte sich und schaute sich ständig um, wann endlich die Vorspeisen gebracht würden.
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es da doch um Onkologie, oder?«, vergewisserte sich Subow. »Aber was hat der Zellenselbstmord damit zu tun?«
»Krebs ist eine Form von Selbstmord eines lebendigen Systems, und zwar auf Makroebene, das heißt, auf der Ebene desgesamten Organismus. Eine Krebszelle unterscheidet sich praktisch nicht von einem Einzeller, sie verhält sich genau wie ein Bakterium. Eigentlich müsste der Körper darauf mit einer gewaltigen Immunattacke reagieren.«
»Kein sehr appetitliches Thema«, sagte Kulik mit einem spöttischen Lachen und nahm sein Mobiltelefon vom Tisch, damit der Kellner den Teller mit Krabbensalat vor ihn hinstellen konnte. »Sofja, machen Sie eine Pause und lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Carpaccio.«
Wirklich, was schwatze ich da?, fragte sich Sofja. Das interessiert sie doch offenbar gar nicht.
»Valeri Pawlowitsch hat gesagt, Sie sprechen Englisch und Deutsch.«
Subow durchbohrte Sofja noch immer mit seinem Blick, spießte dabei geschickt eine Olive auf und schob sie sich in den Mund.
»Mein Deutsch ist nicht besonders gut, ich benutze es selten. Englisch kann ich besser.«
»Sie haben keine Kinder, auch keinen Mann.« Subow hob eine hauchdünne Käsescheibe mit der Gabel hoch und schaute mit eingekniffenen Augen durch sie hindurch zu Kulik.
»Ja«, sagte Sofja, »ich bin allein. Meine Mutter lebt mit ihrem neuen Mann in Sydney.«
»Sie hatte einen wunderbaren Vater, aber er ist vor kurzem gestorben«, sagte Kulik.
»Mein Beileid.« Subow nickte mechanisch. »Dass Sie allein sind, ist ein zusätzliches Plus. Es wäre für Sie kein Problem, für ein Jahr nach Deutschland zu gehen. Waren Sie schon einmal dort?«
»Nein.«
»Sie werden ihr Deutsch auffrischen müssen.« Subow zerkaute den Käse und lächelte Sofja erneut an. »Sagen Sie, woherkommt Ihre Leidenschaft für die Biologie? Gab es in Ihrer Familie Biologen?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
»Heutzutage weiß kaum jemand etwas über seine Urgroßeltern«, bemerkte Kulik, »die Menschen kennen ihre Wurzeln nicht mehr, leider. Ich zum Beispiel habe erst vor kurzem herausgefunden, dass einer meiner Vorfahren väterlicherseits ein berühmtes Medium und ein Dichter war. Eine populäre Kombination zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. In der esoterischen Zeitschrift »Ottuda«, die von 1904 bis 1918 in Petersburg erschien, habe ich Artikel, Gedichte und sogar ein Foto von meinem bemerkenswerten Vorfahren Stepan Kulik gefunden.«
»Ich kenne nur meine Großmütter und Großväter«, sagte Sofja, »von den Generationen davor weiß
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