Bis in den Tod hinein
und selbst um diese Zeit klingelten ununterbrochen die Telefone.
» Ihr Team ist auffallend jung«, stellte Dennis fest, während ein junges Mädchen, das seine Volljährigkeit erst vor Kurzem erreicht hatte, ihm einen Becher mit Eistee und seltsam wirkenden Geleekugeln darin reichte.
» Zu fünfzig Prozent Praktikanten«, erklärte Venske. » Und jetzt denken Sie wieder: Diese bösen Ausbeuter vom Fernsehen. Lassen junge Menschen umsonst für sich arbeiten und machen dabei den großen Reibach.«
Dennis nahm einen Schluck des Getränks, biss auf die Geleekugeln, die durch den Strohhalm in seinen Mund gekommen waren, und verzog sein Gesicht zu einer missmutigen Grimasse.
» Bubble Tea?«, fragte er skeptisch. » Habe ich noch nie getrunken. Und jetzt weiß ich auch, warum.«
» Ja, ekelhaft. Aber hip! Wir sind hier in einer TV -Produktionsfirma, vergessen Sie das nicht!«
» Ich verstehe, das verpflichtet natürlich«, erwiderte Dennis mit einem Zwinkern. » Wie ist es denn jetzt mit den Praktikanten und dem Reibach?«
» Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Die Sender verdienen mit dem ganzen billigen Pfusch, den sie bei uns in Auftrag geben, immer weniger Geld. Das bekommen dann als Erstes wir zu spüren: Immer mehr Programm wird für immer weniger Budget in Auftrag gegeben. Alles wird nur noch auf der Straße gedreht, damit die Studiokosten wegfallen, die neuen Stars sind keine teuren Profis mehr, sondern publicitygeile Trottel, die zwar nichts können, aber dafür auch nichts kosten, und am billigsten ist es, die Kamera einfach auf etwas draufzuhalten, das sowieso stattfindet. Oder haben Sie sich nie gefragt, warum wir pausenlos irgendwelchen Kontrolleuren bei der Arbeit zugucken? So, und um dieses ganze Aufkommen überhaupt noch bedienen zu können, müssen wir an dem sparen, was am meisten kostet: Mitarbeiter. Die Praktikanten denken, sie verschaffen sich bei uns eine tolle Referenz für spätere Jobs. Nach ein paar Wochen ist so ein Praktikant dann so gut wie ein bezahlter Mitarbeiter, und wenn Sie einen haben, der schon sein viertes oder fünftes Praktikum macht, ist seine Leistung von der eines hoch bezahlten Profis kaum noch zu unterscheiden. Die Praktikanten zerstören den Markt, in dem sie selbst ihre Zukunft suchen.«
» Reiner Zynismus«, wiederholte Dennis, doch Venske winkte ab.
» Nein, das ist Ironie des Schicksals.« Dann legte der Produzent seine Hände in den Nacken, schloss die Augen und kam in ruhigem Tonfall zum eigentlichen Thema von Dennis’ Besuch: » Haben Sie schon eine Spur von Tanja?«
» Leider nein. Es gibt absolut keinen Hinweis darauf, dass irgendetwas passiert ist. Sie ist einfach nur weg.«
» Wissen Sie«, begann Venske zu erzählen, » wir waren mit Dein Catwalk fast am Ende. Zickige Tussis, die alle gleich aussehen, keine Ahnung vom Modelbusiness haben und beim ersten Anflug von Arbeit heulen und die Puppenlappen hinwerfen. Pausenloses Heimwehgewimmer, und in der Kandidaten- WG hassen sich natürlich alle Models gegenseitig. Dem ganzen Hühnerhaufen haben wir dann ein Topmodel als Jurychefin vor die Nase gesetzt, das einfach ganz anders war, als es die Zuschauer erwartet hatten. Das war ganz lustig, hat zuletzt aber kein Schwein mehr vor den Fernseher gelockt. Der Sender wollte den Schrott schon absetzen, aber dann kam Tanja.«
Tanja van Beuten leitete die Jury der Castingshow erst seit zwei Staffeln. In den vier Staffeln davor war das ebenfalls international erfolgreiche Model Ilona Vojti Vorsitzende der Jury gewesen. Die deutsch-ungarische Schönheit hatte sich der überwiegend blutjungen Kandidatinnen ehrlich angenommen, ihnen zugehört, ihre Bedürfnisse erfahren und ihnen Freiheiten eingeräumt. Wer es nicht wollte, musste sich die Haare nicht abschneiden oder sich mit Vogelspinnen fotografieren lassen. Am meisten hatte Ilona Vojti aber beim Thema Gewicht überrascht. Entgegen jeder Erwartungshaltung hatte sie den Mädchen unter anderem erlaubt zu essen, was sie wollten. Diese überraschende Liberalität hatte der Sendung in den ersten Jahren hohe Einschaltquoten beschert. Von Staffel zu Staffel waren diese dann jedoch immer weiter gesunken.
» Nett ging nicht mehr, weil nett langweilig ist«, berichtete Venske weiter. » Deswegen haben wir Tanja geholt. Und die hat dann von Anfang an ein hartes Regiment geführt. Sie hat keine Bitten geäußert, sie hat Anweisungen erteilt. Tränen hat sie als Schwäche diffamiert, und Mädchen, die sich einer Aufgabe
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