Bis in den Tod hinein
Schreibtisch seiner Mitarbeiterin zurück. Dann wandte er sich Dennis Baum zu. » Nehmen Sie es mir nicht übel, aber was wir hier so alles an Bewerbungen reinbekommen– da will man irgendwann gar nicht mehr diplomatisch sein.«
Dennis hatte sofort nach seiner Mittagspause einen Termin in der Berliner Dependance von Toi-Entertainment gemacht. Die eigentlich in Köln ansässige Firma produzierte im Auftrag großer TV -Sender Unterhaltungsformate der verschiedensten Art, unter anderem auch die Castingshow, deren Juryvorsitzende Tanja van Beuten war. Obwohl es inzwischen Abend geworden war, herrschte auf der Etage der Produktionsfirma im Stadtteil Mitte noch reges Treiben.
» Im Augenblick arbeiten wir fast rund um die Uhr«, erklärte Venske. » In drei Wochen beginnt zum Beispiel die Produktion einer ganz neuen Show: Assi DeLuxe. Die größten Proleten, die wir finden konnten, werden vierzehn Tage nach St. Moritz zum Skifahren geschickt. In das teuerste Hotel. Die Deppen benehmen sich komplett daneben, liefern uns peinliche O-Töne und wollen nicht mal Geld dafür haben. Denen reicht es schon, einfach im Fernsehen zu sein. Das Format soll den Sozialneid der Zielgruppe des Senders ansprechen, wir brauchen also das ganze Programm: Austern sind eklig, Champagner schmeckt nicht – Sie kennen das ja.«
Dennis hatte fast das Gefühl, sich auf einem Rangierbahnhof zu befinden. Veit Venske musste sogar lauter sprechen, als er fortfuhr: » Großartig ist auch Im Visier der Fahnder. Laien spielen Kriminalfälle und sollen den Zuschauern das Gefühl vermitteln, dass das alles echt sei. Läuft bei uns inoffiziell als Comedyformat. Am besten sind die Typen, die spielen sollen, dass sie erschossen werden. Ich brenne Ihnen mal unsere interne DVD mit den zehn lächerlichsten Sterbeszenen. Ganz ehrlich, das könnte sogar ich besser! Ja, und dann steht noch die neue Staffel von Sing, if you can! an. Fragen Sie mich bitte nicht, die wievielte. Wir mussten sogar die Altersgrenzen für die Kandidaten öffnen, damit sich überhaupt noch einer bewirbt, der wenigstens ein bisschen singen kann. Deutschland ist komplett leergecastet!«
Ohne dass Dennis Gelegenheit erhielt, den Redefluss des Produzenten zu unterbrechen, führte dieser seinen Gast durch das hektische Treiben seiner Autoren und Redakteure hindurch in einen etwas ruhigeren Bereich, in dem eine neutrale Leinwand von Scheinwerfern angestrahlt wurde.
» Hier casten wir die Bewerber vor. Die Jury in der Show bekommt dann später nur unsere Auswahl zu sehen«, erklärte Venske und deutete Dennis an, dass er auf einem der Sitzsäcke Platz nehmen solle, die um die Castingecke herum auf dem Boden verteilt waren. » Für die Auswahl gilt: Die Guten ins Töpfchen– und die Schlechten auch! Die Sender haben immer die besten Quoten, wenn sich möglichst viele Teenager vor der Kamera lächerlich machen. Das geht aber nicht lange gut, weil die Presse dann sehr bald heuchelt, dass das menschenverachtend sei. Die Zuschauer fühlen sich ertappt, reden sich ein schlechtes Gewissen ein und fordern mehr Qualität. Aber sehr bald merken sie, dass Castingshows ohne Deppen stinklangweilig sind, und die Quotenspirale dreht sich wieder nach unten. Dann haben wir zwei Möglichkeiten: das Format einstellen oder, was noch beknackter ist, es reloaden.«
» Wann immer man der Schlange einen Kopf abschlägt, wachsen zwei neue nach«, fügte Dennis hinzu, während er dabei fast in seinem Sitzsack zu versinken drohte. » Ist in meinem Beruf auch nicht anders.«
» Und diese neuen Köpfe sind dann noch viel fieser und hässlicher als der, den man abgeschlagen hat! Sie haben es verstanden«, bestätigte Venske mit einem Lachen und klopfte dem Kommissar selbstbewusst auf die Schulter. » Denken Sie bitte nicht, dass wir hier alle bösartig oder gewissenlos sind. Wir wissen alle, dass wir Schrott produzieren. Aber wir sind eben auch nicht das Nobelpreiskomitee. Wir bedienen einen Markt, der sich nach Angebot und Nachfrage richtet. Wenn Sie Qualität und Kultur wollen, dann schalten Sie die Öffentlich-Rechtlichen ein. Das Privatfernsehen ist schon längst nur noch reiner Zynismus– die Zielgruppe merkt es bloß nicht.«
Niemand im Büro trug einen Anzug oder ein Businessoutfit. Das Team gab sich betont unkonventionell, fast auf jedem Tisch standen leere Becher der Kaffeehauskette, deren Filiale dem Loft direkt gegenüberlag. Zudem türmten sich Fotos überwiegend junger Menschen auf den Schreibtischen,
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