Bis in den Tod hinein
Menschen im Leben leichter haben. Sicher, sie haben immer viele Leute um sich herum, sind begehrt und werden zu allen möglichen Veranstaltungen eingeladen. Aber Tanja hat sich trotzdem immer einsam gefühlt. Sie hat nie geglaubt, dass die Menschen etwas anderes an ihr mögen als ihr Aussehen.«
» Darf ich Sie mal was Persönliches fragen?«, setzte Dennis daraufhin an.
Price konnte sich vorstellen, worum es dem Kommissar ging.
» Wie ich es geschafft habe, so ein Topmodel unter Vertrag zu nehmen?«, fragte er schmunzelnd.
Dennis nickte zustimmend.
» Ich meine, so eine Künstlerin hätte doch sicher jeder gern?«
» Mittlerweile schon, aber das war ja nicht immer so. Ich habe Tanja eines Abends einfach zum Essen ausgeführt. Wir kannten uns zu der Zeit auch schon eine ganze Weile. Nach dem Dessert habe ich sie dann mit festem Blick angeguckt und gesagt: Du hast die Wahl. Du kannst in Zukunft ein großartiges, aufregendes, einzigartiges Leben in Saus und Braus führen. Die Welt und alles darin in vollen Zügen genießen, Kaviar essen und Champagner trinken.– Oder du lässt deine Karriere ab jetzt von einem bekloppten Engländer managen.«
Dennis lachte, während er seinen Wagen in einigem Abstand zu dem Landhaus parkte.
» Da haben Sie ihr ja gar keine Wahl gelassen!«
Beide stiegen nun aus, griffen ihre Mäntel vom Rücksitz und nahmen in der einsetzenden Dämmerung das Haus und dessen Umgebung in Augenschein. Dabei stellten sie fest, dass weder ein Fahrzeug vor dem Anwesen stand noch Licht darin brannte.
» Also, diese Aktion hier ist genau genommen eine reine Privatsache. Ich habe keine dienstlichen Befugnisse für das Land Brandenburg, außerdem gibt es keinen Durchsuchungsbeschluss oder sonst irgendwas, das es mir erlauben würde, in das Haus einzudringen«, stellte der Kommissar seinen Begleiter auf das weitere Vorgehen ein. » Also, wir gucken jetzt erst mal, ob jemand im Haus ist. Wenn nicht, suchen wir sicherheitshalber auch noch in der Umgebung nach möglichen Verstecken, die Tanja als Kind vielleicht genutzt hat.« Während Dennis nun bibbernd die Hände in den wärmenden Taschen seines Wintermantels verbarg, fügte er noch hinzu: » Es ist vermutlich Zeitverschwendung, aber unter den gegebenen Umständen müssen wir einfach alles versuchen.«
28
Tanja war sich im Klaren darüber, dass ihre zumindest teilweise wiedergewonnenen Kräfte nicht lange vorhalten würden. Wenn sie einen Versuch unternehmen wollte, sich aus ihren Fesseln zu befreien, dann musste sie es sofort tun. Jedes ängstliche Zögern konnte sie um die möglicherweise letzte Gelegenheit bringen, ihr anscheinend besiegeltes Schicksal vielleicht doch noch aus eigener Kraft abzuwenden. Sie hatte während der vergangenen Tage teils bewusst, teils unbewusst immer wieder heftig an ihren Fesseln gezerrt, sodass ihre Unterarme längst wund und blutig gescheuert waren. Doch die Stricke waren viel zu fest gebunden, als dass sie ihre Hände einfach unter ihnen hätte herausziehen können.
Du hast genau das versucht, was jeder versucht hätte. Das, worauf sich dein Entführer eingestellt hat. Denk nach, verdammt, es muss doch noch einen anderen Ausweg geben!
Tanja van Beuten versuchte hastig, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Was hatte sie den Mädchen in ihrer Castingshow immer gesagt, wenn diese selbst an einfachsten Aufgabenstellungen zu scheitern drohten? Wenn sie sich auf Lösungswege versteift hatten, die sich als nicht zielführend erwiesen hatten?
Aufgeben ist keine Option. Wenn kein Weg nach vorn führt, dann dreh dich eben um!
Tanja entspannte ihre schmerzenden Unterarme und betrachtete statt der Fesseln nun den Stuhl, an den sie gebunden war. Ungeachtet der bitteren Lage, in der sie sich befand, musste sie lachen, als ihr eine Idee kam.
Wenn du die Seile, die dich an den Stuhl binden, nicht zerstören kannst, dann zerstöre eben den Stuhl, um den die Seile gewickelt sind.
Doch Tanjas Freude über die anscheinend gute Idee wich schnell einer ernüchternden Erkenntnis: So einfach, wie sie es sich vorstellte, würde es nicht werden. Noch Minuten zuvor war van Beuten dem Tod näher gewesen als dem Leben, und trotz des Wassers reichten ihre Kräfte noch immer bei Weitem nicht aus, um das rustikale Möbelstück einfach so zu zerstören. Wie auch immer, van Beuten würde sich nicht so schnell geschlagen geben.
Okay, ganz ruhig. Es gibt hier keine Menschen, die dir helfen können. Also muss der Raum etwas für dich tun.
Die
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