Bis in den Tod hinein
Reaktion.
Der ist garantiert paranoid. Na toll, Olivia. Jetzt stehst du hier wie blöd vor dem Haus. Riesenaktion.
Olivia überlegte gerade noch, wie sie nun vorgehen sollte, als ein Anwohner von innen aus dem Haus trat. Sie nutzte diese Gelegenheit, um in den Flur zu gelangen und einfach direkt in den ersten Stock zu Moldenhauers Wohnungstür hochzugehen.
» Ich werde Ihnen gleich etwas vorlesen, und ich möchte, dass Sie aufmerksam zuhören«, kündigte Anselm an und zog den vorbereiteten Text aus der linken Innentasche seines Mantels. » Gleich wird nämlich die Wärme in Ihrer Wohnung bewirken, dass erste Entzündungszellen in Ihr Gewebe gelangen. Das zerstört dann endgültig die Blutgefäße in Ihren Unterarmen.«
Fassungslos über seine Lage krümmte sich Moldenhauer auf dem Boden und konnte nicht damit aufhören, ununterbrochen auf seine erfrorenen Arme zu starren, die er zwar sehen, aber nicht mehr spüren konnte. Das durch den Knebel gedämpfte Schreien war mittlerweile zu einem winselnden Weinen verkümmert, während Anselm ungerührt, mit Schweiß auf der Stirn und mit bedeutender Tiefe in seinem Ausdruck, den Text vorlas, den er vorbereitet hatte.
» Sollst du nicht, Junge, verfallen dem Wahn,
zu nehmen das Eigen der anderen an.
Zu rauben und stehlen – sei’s auch in der Not –,
egal sind die Gründe, nicht Geld und nicht Brot.
Denn weißt du, mein Junge, was denen geschieht,
die and’re berauben? Dann blick, was man sieht:
Der Steve war ein böser, unredlicher Mann,
der schon, als er klein war, zu stehlen begann.
Er schlug und er drohte, er achtete nicht
die Rechte der and’ren – nur dass die Geschicht’
nicht endet mit einem, dem Gutes gedieh’n.
Sieh, Junge, die Bilder! Was hat er geschrie’n!
Ohne Arme am Leib war sein Stehlen vorbei.
Drum denk dran, mein Junge:
Befolge die Drei!«
Erst jetzt griff Drexler in die rechte Außentasche seines Mantels, in der er noch einen besonders wichtigen Gegenstand mitgeführt hatte. Er zog eine Spielkarte hervor, die die Herz Drei darstellte, und deponierte sie gut sichtbar auf Moldenhauers Couchtisch, während das Opfer sich weiter krümmte und dem Geschehen um sich herum trotz der Morphiumpflaster keine Beachtung mehr zu schenken imstande war.
Anselm machte noch ein paar Fotos von dem jungen Mann, dessen erfrorene Arme einen ebenso ergreifenden wie grauenvollen Anblick boten, und wandte sich dann dem Fernseher zu, der noch immer die Geräusche in der Wohnung übertönte. Mittlerweile wurde die dritte Scriptet-Reality-Sendung in Folge ausgestrahlt. Anselm betrachtete einige Sekunden lang das groteske, unwürdige Geschehen auf dem Bildschirm, während Moldenhauer vor Verzweiflung kurz davor war, den Verstand zu verlieren. Ungläubig und mit angewidertem Gesichtsausdruck fragte er sich schließlich: » Wer denkt sich bloß so einen kranken Mist aus?«
38
» Und das ist alles?«
Severin Boesherz stellte das bauchige Rotweinglas mit dem Quercus darin auf seinem Couchtisch ab und wechselte das Telefon in die linke Hand. Linda Bartholy, die in galanter Haltung auf seiner Couch saß, hörte aufmerksam zu, während Boesherz sich vom Fortgang der Ermittlungen berichten ließ.
» Du bist gut, Severin. Wir klappern halb Berlin ab. Nur einen Treffer gibt es halt noch nicht«, verteidigte sich Judith Beer. » Hat Olivia dich denn schon benachrichtigt?«
Boesherz atmete schwer aus.
» Was macht sie denn schon wieder?«
» Sie checkt diesen Steve Moldenhauer ab. Ihr Gefühl sagt ihr, dass er der Nächste sein könnte.«
» Moldenhauer?«, wiederholte Boesherz ungläubig. » Der bewirkt bei ihr Gefühle? Kein Wunder, dass sie Single ist…« Mit einem ironischen Zwinkern sah Severin zu Bartholy hinüber, die ihrerseits ein Glas Quercus in der Hand hielt. » Na gut, ich rufe sie an, nachdem sie bei ihm war.«
» Ich mache das schon. Genieß du ruhig deinen Feierband. Liegst du schon im Bett?«
Boesherz schmunzelte schelmisch.
» So schnell geht das bei mir nicht. Aber danke, dass du es mir zutraust.«
Die Polizisten beendeten ihr Gespräch. Boesherz griff wieder nach seinem Weinglas, schwenkte den Quercus einige Sekunden lang darin und nahm dann mit genussvoll geschlossenen Augen einen guten Schluck, bevor er sich wieder zu seinem Gast setzte.
» Stehen Sie Frau Holzmann sehr nahe?«, wollte Bartholy jetzt wissen, während sie kreisförmig mit dem Zeigefinger über den Rand ihres Glases fuhr.
» Wir haben uns gestern Abend eigentlich
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