Bis in den Tod
plötzlich ihr Link.
»Dallas.«
»Dr. Morris.« Eve mochte den Pathologen mit den schwerlidrigen, leuchtend grünen Habichtsaugen, dem kantigen, meist unrasierten Kinn und der dichten rabenschwarzen Mähne. Auch wenn seine Langsamkeit sie allzu oft frustrierte, wusste sie zu schätzen, dass er niemals etwas übersah.
»Haben Sie den Bericht im Fall Fitzhugh endlich fertig?«
»Ich habe ein Problem.«
»Ich brauche kein Problem, ich brauche den Bericht. Können Sie ihn mir in mein Büro schicken? Ich bin gerade auf dem Weg dorthin.«
»Nein, Lieutenant, Sie sind auf dem Weg hierher. Es gibt da etwas, was ich Ihnen zeigen muss.«
»Ich habe keine Zeit, um im Leichenschauhaus vorbeizuschauen.«
»Die sollten Sie sich nehmen«, beendete der Mediziner das Gespräch und Eve knirschte mit den Zähnen.
Wissenschaftler rauben einem wirklich den allerletzten Nerv, dachte sie erbost, lenkte ihren Wagen jedoch gehorsam um.
Von außen betrachtet ähnelte das Leichenschauhaus von Lower Manhattan einem der bienenwabenförmigen Bürogebäude, zwischen denen es lag. Die Architekten hatten bewusst darauf geachtet, dass es mit seiner Umgebung weitestgehend verschmolz. Niemand dachte gerne an den Tod, niemand ließ sich gern den Appetit verderben, wenn er in der Mittagspause seinen Arbeitsplatz verließ, um in einem der Ecklokale eine Kleinigkeit zu essen. Und Bilder von irgendwelchen Leichen, die mit Namenszetteln an den Zehen in Tiefkühlfächern lagen, hätten die Begeisterung für Nudelsalat oder Pizza empfindlich gestört.
Eve erinnerte sich daran, wie sie zum allerersten Mal durch die schwarzen Stahltüren in der Rückwand des Gebäudes getreten war. Sie war noch in der Ausbildung gewesen und hatte sich Schulter an Schulter mit zwei Dutzend anderen Auszubildenden gedrängt. Anders als mehrere ihrer Kameraden hatte sie auch vorher schon Tote gesehen, nie jedoch derart zur Schau gestellt, seziert, ja geradezu zerlegt.
Über einem der Autopsieräume gab es eine Galerie, von der aus Studenten, angehende Polizisten, Journalisten oder Romanautoren bei entsprechender Erlaubnis die kniffelige Arbeit der Gerichtsmediziner mit verfolgen konnten.
Bildschirme vor sämtlichen Plätzen gestatteten denen, deren Mägen es erlaubten, sich das Ganze aus der Nähe anzusehen.
Viele der Besucher verließen das Haus nicht mehr auf den eigenen Beinen und die meisten von ihnen kamen kein zweites Mal zurück.
Eve war nicht ohnmächtig geworden und sie war bereits zahllose Male hierher zurückgekehrt, aber nach wie vor tat sie es alles andere als gern.
Dieses Mal führte ihr Besuch sie nicht in das so genannte Theater, sondern in Labor C, wo Morris einen Großteil seiner Arbeit tat. Auf dem Weg durch den weiß gefliesten Korridor mit dem erbsgrünen Boden wurde sie vom Geruch des Todes eingehüllt. Egal was man versuchte, um ihn zu vertreiben, der süßliche Gestank kroch durch jede noch so schmale Ritze und verpestete die Luft wie zur ständigen Erinnerung daran, dass jeder sterblich ist.
Die medizinische Forschung hatte diverse Seuchen, zahlreiche Krankheiten und Gebrechen von der Erde vertrieben, die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen betrug inzwischen hundertfünfzig Jahre und dank neuer kosmetischer Verfahren blieb man, wenn man wollte, bis ins hohe Alter attraktiv.
Man konnte ohne Falten sterben, ohne Altersflecken, ohne Zipperlein und Schmerzen, ohne, dass die Knochen brüchig wurden. Trotzdem ließ sich nicht vermeiden, dass man früher oder später aus dem Leben schied.
Für viele derer, die am Ende hierher kamen, war der Tag des Todes allzu früh erreicht.
Vor der Tür von Labor C zückte sie ihre Marke, nannte ihren Namen und ihre Passnummer und legte ihre Finger auf das Handlesegerät.
Schließlich gewährte man ihr Einlass und sie betrat den kleinen, fensterlosen, deprimierenden Raum, an dessen Wände zahlreiche Geräte und blinkende Computer aufgereiht waren. Einige der Werkzeuge, die so ordentlich wie auf dem Tablett eines Chirurgen auf den Tresen nebeneinander lagen, wirkten barbarisch genug, als dass Menschen mit schwächeren Nerven sicher bereits bei ihrem Anblick kehrt gemacht hätten. Es gab Sägen, Laser, glitzernde Skalpelle und jede Menge Schläuche.
In der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit Rinnen an den Seiten, durch die die Körperflüssigkeit der Toten für spätere Analysen in sterile, luftdichte Behältnisse lief. Auf dem Tisch lag Fitzhugh, dessen nackter Körper noch die Narben des
Weitere Kostenlose Bücher