Bis in den Tod
Mira.« Eve schob ihre Kaffeetasse fort. »Ich muss wieder ins Büro. Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, Dr. Mira«, sagte sie und stand entschlossen auf. »Und auch für Ihre aufschlussreichen Theorien, Reeanna.«
»Ich spreche gerne jederzeit noch ausführlicher darüber.« Reeanna schüttelte Eve herzlich die Hand. »Grüßen Sie doch bitte Roarke.«
»Das werde ich tun.« Eve trat leicht ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, als Mira sich erhob und ihr wie schon zur Begrüßung auch zum Abschied einen Kuss auf die Wange gab. »Ich werde mich bei Ihnen melden.«
»Das will ich doch hoffen, und zwar nicht nur, wenn Sie gerade einen Fall besprechen möchten. Und richten Sie Mavis, wenn Sie sie sehen, herzliche Grüße aus.«
»Sicher.« Eve schulterte ihre Tasche und verließ mit einem verächtlichen Blick auf den Empfangschef eiligen Schrittes das Lokal.
»Eine faszinierende Person.« Reeanna leckte genüsslich ihren Löffel ab. »Beherrscht, immer ein bisschen wütend, zielgerichtet, und Gesten der Zärtlichkeit und Zuneigung nicht sonderlich gewohnt.« Als Mira eine Braue hochzog, lachte sie unbekümmert auf. »Tut mir Leid, jetzt kommt wieder die Physiologin in mir durch. Damit treibe ich den armen William regelmäßig in den Wahnsinn. Allerdings habe ich keine meiner Bemerkungen böse gemeint.«
»Da bin ich mir sicher.« Mira verzog den Mund zu einem Lächeln und bedachte ihr Gegenüber mit einem warmen, verständnisvollen Blick. »Ich mache oft das Gleiche. Und Sie haben Recht, Eve ist eine wirklich faszinierende Person. Sie hat sich selbst dazu gemacht, auch wenn das Ihrer Theorie von der genetischen Festlegung des Menschen, wie ich fürchte, widerspricht.«
»Ach, tatsächlich?« Reeanna beugte sich interessiert über den Tisch. »Wenn Sie diese Dinge wissen, kennen Sie sie anscheinend ziemlich gut.«
»So gut man Eve Dallas kennen kann. Sie ist ein eher… verschlossenes Individuum.«
»Sie haben sie sehr gern.« Reeanna nickte. »Ich hoffe, Sie verstehen es nicht falsch, wenn ich sage, dass ich sie mir, als ich von Roarkes Hochzeit erfuhr, ganz anders vorgestellt habe. Es war bereits eine große Überraschung, dass er diesen Schritt getan hat, und ich hätte gedacht, wenn überhaupt, dann wäre seine Auserwählte eine elegante, weltgewandte Frau. Eine Beamtin der Mordkommission, die ihr Schulterhalfter trägt wie eine andere Frau ein teures Schmuckstück, hätte ich mir dabei ganz bestimmt nicht vorgestellt. Aber sie scheinen zueinander zu passen. Man könnte vielleicht sogar so weit gehen zu sagen« – sie bedachte Mira mit einem vergnügten Lächeln –, »dass es aussieht, als wären die beiden vom Schicksal füreinander bestimmt.«
»Darin kann ich Ihnen problemlos zustimmen.«
»Und jetzt erzählen Sie mir, Dr. Mira, was halten Sie von der künstlichen Herstellung der DNA?«
»Tja, nun…« Mit einem fröhlichen Lächeln begann Dr. Mira, obgleich dies ihre Mittagspause war, mit der Fachsimpelei.
An ihrem Schreibtisch im Büro glich Eve erneut die gesammelten Informationen zu den Fällen Fitzhugh, Mathias und Pearly miteinander ab. Sie fand keinerlei Gemeinsamkeiten, nichts, was die Männer miteinander verband. Die einzige sichtbare Beziehung zwischen allen dreien bestand darin, dass keiner vor Begehung der schrecklichen Tat irgendwelche Selbstmordabsichten gezeigt hatte.
»Wahrscheinlichkeit, mit der die drei Fälle miteinander in Beziehung stehen?«, fragte Eve ihren Computer.
Die Wahrscheinlichkeit beträgt fünf Komma zwei Prozent.
»Mit anderen Worten, beinah null.« Eve schnaubte und runzelte die Stirn, als ein Airbus an ihrem vor Schmutz starrenden Fenster vorbeirumpelte. »Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Fall Fitzhugh nach den bisherigen Erkenntnissen um einen Mord handelt?«
Nach den bisherigen Erkenntnissen beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Mord war, acht Komma drei Prozent.
»Gib doch auf, Dallas«, murmelte sie zornig. »Lass endlich davon ab.«
Sie schwang mit ihrem Stuhl herum und beobachtete durchs Fenster das Verkehrsgedränge in der Luft. Neigung. Schicksal. Genetische Kodierung. Wenn sie diese Dinge glaubte, welchen Zweck verfolgte sie dann mit ihrer Arbeit – oder überhaupt mit ihrem Leben? Wenn es keine Wahl gab, keine Möglichkeit etwas zu ändern, weshalb sollte sie dann darum kämpfen, Leben zu retten, oder sich, wenn der Kampf verloren war, dafür verwenden, dass den Toten posthum Gerechtigkeit widerfuhr?
Wenn alles von
Weitere Kostenlose Bücher