Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
Vom Netzwerk:
Strandkneipe. »Mit dieser Bine. Ihr wart hackedicht. Du hast ihn überhaupt nicht gesehen.«
    Wieder Schweigen.
    »Ich find’s schade«, sagt Mauki nach einer Weile.
    Marvel holt tief Luft. Er weiß genau, was Mauki meint. »Was?«
    »Wieso ist es nicht mehr so wie früher?«
    »Weil früher gestern ist.«
    »Jojo und Bully finden das auch scheiße, wie es jetzt läuft.«
    »Mir geht’s genauso.«
    »Und wieso ändern wir das dann nicht? Mann, Marvel! Wenn wir es alle scheiße finden? Wir haben früher alles zusammen gemacht!« Mauki schweigt eine Weile, dann knurrt er: »Wieso schmeißt du deine alten Freunde einfach weg?«
    Marvel bekommt einen heißen Kopf vor Wut. »Mann! Was redest du für einen Scheiß!«, schreit er. »Was soll das denn? Hab
ich gesagt, dass das mit Bine und mir was Ernstes ist? Hab ich nicht gesagt!«
    »Du bist also heute Nachmittag nicht mit ihr verabredet?«
    »Nein!!!«
    Marvel könnte jetzt sagen: Ich besuch meinen Vater. Ich hab ihn neulich gesehen und da hat er gesagt, ich soll mal vorbeikommen. Sonntagnachmittag, vier Uhr. Das ist heute. Ich fühle mich ziemlich scheiße, aber andererseits weiß ich, wenn ich das heute nicht durchziehe, werde ich mich später immer für einen elenden Feigling halten. Ich habe keine Lust, mein Erwachsenenleben damit anzufangen, dass ich mich selbst für einen Feigling halte. Deshalb fahr ich hin, verstehst du? Ich hab nur angerufen, weil ich jemanden zum Reden brauchte. Meinem Magen geht es in letzter Zeit ziemlich schlecht. Ich schlaf nicht gut. Ich sauf zu viel. Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich weiß nicht. Es läuft alles irgendwie aus dem Ruder. Aber vielleicht wird es ja besser, wenn ich das heute Nachmittag hinter mir habe.
    Das alles könnte er Mauki sagen und Mauki würde schweigen und zuhören, und auch nachdem Marvel geredet hätte, würde Mauki immer noch eine lange Pause machen und nachdenken, bevor er was sagt. Und er würde was Vernünftiges sagen, das weiß Marvel. Was Nettes, Aufbauendes.
    Aber es nützt ja nichts. Es geht einfach weiter. Wie wird er sich fühlen, wenn der Sonntagnachmittag vorbei ist? Wenn er zurück ist aus seinem ehemaligen Elternhaus? Wie fühlt er sich dann? Wenn es schiefgegangen ist, mit seinem Vater, seiner neuen Frau oder diesem kleinen Mädchen.
    Wenn er sich so scheiße fühlt, dass er sich nur noch unter die Decke verkriechen und heulen möchte. Das muss keiner wissen, durch welche Hölle er gegangen ist. Darum geht’s.
    »Also, ich muss jetzt Schluss machen, Benni nervt«, sagt Mauki.

    »Okay, schon gut. Grüß den Zwerg.«
    »Ja, mach ich.«
    »Also, bis die Tage.«
    »Morgen ist Montag.«
    »Ja, bis morgen. Mein ich ja.« Marvel legt auf. Und als er das Telefon auf seinen Platz zurückstellt, hat er das Gefühl, dass es ihm noch schlechter geht als vorher.
    Deshalb ruft er weder Jojo an noch Bully.
     
    Zwei Stunde später - es sind noch zwei Stunden bis zu seinem Treffen in seinem ehemaligen Elternhaus - steht Marvel im Hauptbahnhof an der Saftbar und probiert einen Banane-Sellerie-Cocktail.
    Bine ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Der mürrische Knilch ist verschwunden, dafür steht jetzt eine grauhaarige, abgezehrte Frau hinter dem Tresen. Die ist wenigstens bereit, mit ihm über Bine zu reden.
    »Ich weiß, dass hier eine Schülerin gearbeitet hat«, sagt sie. »Mit so knallroten Haaren. Ich war da drüben.« Sie deutet auf den Tresen, an dem italienische Nudelgerichte frisch aus der Pfanne angeboten werden. »Da hab ich sie hier immer gesehen. Ich hab gehört, die kommt nicht wieder.«
    Marvel spürt einen Stich. »Wieso? Was ist mit ihr?«
    Die Frau hebt gleichmütig die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Bin ich vom Betriebsrat? Ich bin auch sofort weg, wenn ich einen besseren Job finde.«
    Marvel stellt sein Glas, das fast unberührt ist, auf den Tresen. »Das schmeckt wie Jauche«, sagt er und geht.
     
    Noch anderthalb Stunden bis vier Uhr. Wenn man der Zeit beim Vergehen zusieht, vergeht sie überhaupt nicht. Die Zeit ist eine Trickmaschine.

    Um den schlechten Geschmack aus seinem Mund, der Speiseröhre und dem Magen zu vertreiben, kauft Marvel sich am Kiosk draußen auf dem Bahnhofsvorplatz einen Underberg. Das soll ja ein richtiger Magenputzer sein.
    Er schraubt den Verschluss ab und kippt das scharfe Zeug in einem Zug hinunter. Danach muss er husten und hat fast Angst, dass das Zeug wieder mit rauskommt.
    Er wirft die kleine Flasche in den Mülleimer und kauft sich ein

Weitere Kostenlose Bücher