Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
kann, was er ist. Oder: Der gar nicht kann, zu was er gemacht wurde. Je länger ich mir vorstelle, alles zu verlieren, was mich beruflich trägt, desto mehr weicht das Gefühl von Erleichterung einer diffusen Angst. Wie sehr der Job zu einem Korsett geworden ist. Ich spüre Hitze aufsteigen. Der Boden scheint nachzugeben.
Diese verdammten Zweifel! Sie befallen mich wie ein Grippevirus, und ich weiß nicht, warum. Bin ich nicht überzeugt genug von dem, was ich tue oder wie ich’s tue? Reflektiere ich zu sehr? Ist das normal, mangelt es mir nur an Abwehrkräften? Ich gebe mein letztes Hemd für den Job. Andere tun das nicht. Sie halten sich trotzdem auf ihren Posten. Bei manchem Kollegen frage ich mich wirklich, warum er wurde, was er ist. Ob’s der neuen Geschäftsführung mit mir genauso geht? In schwachen Momenten, so wie jetzt, bin ich mir da nicht sicher, in starken schließe ich es aus. Von den starken Momenten gibt es zu wenige, das nervt mich. Die Zweifel kosten mich Kraft, sie drücken auf meine Stimmung und zerren an meinen Nerven.
Ich wäre gern glücklich. So wie zu der Zeit, als ich nach dem Volontariat Reporter wurde. Da habe ich einfach drauflosgearbeitet. Meine Artikel wurden im Großen und Ganzen so gedruckt, wie ich sie abgeliefert hatte. Das signalisierte mir jedes Mal: Muss ganz okay gewesen sein. Regelmäßig gab’s in Konferenzen Lob von den Chefs. «Geile Geschichte, Matthias!» oder «Man merkt, du hattest Spaß an der Recherche.» Jetzt bin ich es, der loben sollte. Gute Chefs machen das, weil es die Leute motiviert. Mein Gefühl ist: Ich lobe viel. Der Flurfunk funkt: Der lobt immer dieselben. Mich selbst lobt keiner mehr.
Nach einem knappen halben Jahr in der Chefredaktion sitze ich da nun also an meinem schwarzen Schreibtisch, der mir viel zu groß erscheint. Ich blicke aus meinem verglasten Büro in den Redaktionsraum und denke darüber nach, warum ich in diese Position gekommen bin. Da sind mein Ehrgeiz, der Einsatz, die Begeisterung. Vor allem ist es Zufall und Fügung, dass ich früh in eine Führungsposition gerutscht bin. Ich habe auf nichts hingearbeitet, was mit Karriere zu tun hatte. Das, was kommen könnte, sah ich immer locker.
Seit ich vor zwei Jahren Ressortleiter wurde, habe ich diese unverkrampfte Einstellung scheibchenweise verloren. Jetzt bin ich ernster, angespannter, empfinde schon eine kleine Niederlage im täglichen Wettbewerb mit der Konkurrenz als persönlichen Rückschlag. Ich wandle mich zu einem Typen, der mir oft nicht mehr geheuer ist. Es gibt mehr Tage, an denen ich mich nicht leiden kann, als Tage, an denen ich überzeugt von mir bin. Der, zu dem ich werde, gefällt mir viel weniger als der, der ich war.
Ich beruhige mich damit, dass ich bei den meisten Mitarbeitern akzeptiert bin. Immerhin hat mir noch keiner ins Gewissen geredet: «Hey, Matthias, du entwickelst dich nicht zum Besseren. Pass mal auf, dass du nicht zum Vollarsch wirst, bist auf dem besten Weg dahin!» Und selbst wenn es so wäre, würden sie sich wahrscheinlich nicht trauen, es mir gegenüber laut auszusprechen.
Tatsächlich geben mir eine Menge Leute das Gefühl, ein toller Hecht zu sein. Einige tun es offensichtlich deswegen, weil sie glauben, dass es ihnen weiterhelfen könnte. Ihre wirkliche Meinung über mich ist vielleicht eine ganz andere. Deshalb versuche ich, mich nicht beeindrucken zu lassen. Denn: Kaum einer hat in Wahrheit einen Grund dazu, mich für einen Supertypen zu halten. Ich bin derjenige, der schon morgen eine unangenehme Entscheidung treffen könnte. Kein Mitarbeiter wird mir gegenüber also so ehrlich auftreten, wie er das Kollegen gegenüber täte. Ich bin kein Buddy, ich bin «der da oben». Wer sich an mich wendet, erhofft sich etwas, will etwas, erwartet etwas.
Wenn ich früher in der Ausbildung und später als Redakteur Kollegen außerhalb des Büros getroffen habe, waren die Begegnungen nichts Außergewöhnliches. Ich mochte den anderen oder mochte ihn nicht. Davon hing ab, ob ich mich mit ihm unterhalten habe oder nur kurz grüßte und weitergegangen bin. Begegne ich heute als Chef einem Mitarbeiter, merke ich sofort, dass sich etwas geändert hat. Er zögert, bevor er mich anspricht. Meist wartet er ab, was ich tue. So eine Begegnung ist seltsam: Ich bin privat unterwegs, der Mitarbeiter ist es auch. Wir tragen nicht unsere Arbeitsuniform, sondern schlendern leger in Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen durch die Straßen. Ich hoffe, ich wirke im Büro
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