Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
ich BILD zu. Zwei Angebote hatte ich in den vergangenen Jahren ausgeschlagen, jetzt bin ich reif. Ich soll Redaktionsleiter der Hamburg-Ausgabe werden. Dass das wieder ein Führungsjob ist, der mir mindestens den Einsatz abverlangen wird, den ich zuletzt geleistet habe, ist mir klar. Ich bin drin in der Mühle, und die dreht sich und dreht sich. Will ich das nicht mehr, muss ich aussteigen. Vielleicht steige ich irgendwann aus. Jetzt noch nicht.
Ich bin einerseits entsetzt über die Härte der Branche und halse mir andererseits noch mehr Arbeit in einem noch viel größeren Konzern mit noch schwierigeren Machtstrukturen auf. Ich bin müde und suche einen neuen Kick. Ich denke an die großartigen Reporterjahre und entferne mich mit dem nächsten Schritt noch weiter.
Was mache ich hier eigentlich gerade?
Mit Springer vereinbare ich, meinen Wechsel bald öffentlich zu machen, um Druck auf eine Vertragsaufhebung mit der Morgenpost aufzubauen. Eine Woche später kommt die Pressemitteilung. Der Geschäftsführer ruft mich zehn Minuten später zu sich und fordert mich auf, meinen Schreibtisch aufzuräumen. Ich sei mit sofortiger Wirkung freigestellt. Einen Aufhebungsvertrag bietet er mir nicht an, informiert aber die Belegschaft in einer knappen Rundmail über den Stand der Dinge.
Als ich das Gebäude verlasse, kann ich nicht sprechen. Einige Mitarbeiter umarmen mich, sagen «danke» und «mach’s gut» und «schade». Andere gucken nur. Die meisten bekommen es gar nicht mit. Ein Kollege hilft mir beim Tragen meiner Sachen. Bepackt mit zwei Umzugskisten gehen wir zu meinem Auto. Nachdem wir eingeladen haben und ich mich verabschiedet habe, sitze ich eine halbe Stunde regungslos hinter dem Steuer. Das Gefühl der Ohnmacht weicht einem Anflug von Zuversicht . Egal, was jetzt kommt, du hast dich von dem Schweinkram, der hier läuft, nicht vereinnahmen lassen. Wer dir das übel nimmt, soll es tun. Am Ende ist jeder für sich selbst verantwortlich.
Ich rufe eine befreundete Anwältin an.
«Ich brauche deine Hilfe. Sie haben mich suspendiert, wollen aber den Vertrag nicht aufheben.»
«Damit kommen sie nicht durch, mach dir keine Sorgen. Ich vermittle dir einen super Kollegen.»
Dann rufe ich den BILD -Chef an.
«Ich bin raus. Kein schönes Ende.»
«Herzlich willkommen an Bord. Ich freue mich auf dich.»
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BILD
Februar 2008
Hinter mir liegen zwei arbeitsfreie Monate. So lange Pause hatte ich zuletzt nach dem Abi. Urlaub habe ich die letzten anderthalb Jahre kaum gemacht, dreimal eine Woche, das war’s. Jetzt fühle ich mich trotzdem nicht erholt. Die Wochen zwischen meiner Freistellung und der Einigung mit der Morgenpost waren nervenaufreibend. Anwaltstermine, neues Kündigungsschreiben hier, Stellungnahmen da. Fünf Tage im Dezember war ich auf Mallorca. Ein Versuch, Abstand zu gewinnen. So groß wie die räumliche Distanz von zu Hause war die emotionale Distanz bei weitem nicht.
Immer wieder sollte ich meinen Wechsel auch im privaten Umfeld erklären. Die meisten wichtigen Menschen in meinem Leben haben meine Motivation, bei BILD zu arbeiten, akzeptiert. Einigen fiel das schwer, manche verstanden meinen Schritt überhaupt nicht. Sagte ich früher jemandem, was ich beruflich mache, fanden es die meisten spannend. Dass ich ein Boulevardblatt verantwortete, störte niemanden. Plötzlich ist das ganz anders.
«DU willst bei der BILD arbeiten?»
Ich weiß nicht, wie oft mir diese entsetzte Frage seit meiner Kündigung bei der Mopo schon gestellt wurde. Als hätte ich zugegeben, künftig in der Kriegswaffenindustrie mitzumischen. Bei BILD zu arbeiten, ist für viele bäh. Die Argumente sind immer die gleichen, oft sind es Klischees und Vorurteile. Die wenigsten Verteufler haben in den vergangenen Jahren eine BILD gelesen oder auch nur durchgeblättert.
Mich nervt mein Impuls, mich für meine Entscheidung rechtfertigen zu wollen. Die abfälligen Bemerkungen, der Generalverdacht, unter den mich manche Leute stellen, schmerzen. In solchen Momenten geht es meist um Artikel, die zehn und mehr Jahre zurückliegen. Ich habe Bekannte von Freunden kennengelernt, mit denen ich mich spontan gut verstand – bis sie mitbekamen, wo ich arbeiten werde.
Für die BILD habe ich mich nicht als Fan der Zeitung entschieden. Fasziniert hat mich der Riecher, Themen der Straße journalistisch aufzugreifen, damit zwölf Millionen Leute zu erreichen und den Medien-Ton im Land anzugeben. Größe und Macht, der
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